B. Soziale Veranlagung des Hundes

Sein Stammvater Wolf ist die frü­her am wei­tes­ten ver­brei­te­te Wildtierart unter den Landsäugetieren: es gab ihn in ganz Eurasien (mit Ausnahme der tro­pi­schen Gebiete) sowie in Nordamerika. Die Haustierwerdung erstreck­te sich über einen lan­gen Zeitraum: Funde aus der mitt­le­ren Jungsteinzeit zei­gen, daß schon damals unmit­tel­bar in der Umgebung eis­zeit­li­cher Jäger gezähm­te Wölfe gelebt haben müs­sen, die gele­gent­lich auch Junge bekom­men haben. Häufiger muß es sich um Tiere gehan­delt haben, die im Alter von weni­gen Wochen zu den Wohnplätzen gebracht wor­den sind (Beides läßt sich an bestimm­ten Zahnanomalien nachweisen).

Hinweise auf Haushunde fin­den sich dann erst in Funden aus der Zeit zwi­schen 13000 – 7000 vor Christus. D. h. es gibt aus die­sem Zeitraum Knochenfunde, die mor­pho­lo­gisch bereits ein­deu­tig von Hunden und nicht von wild leben­den oder gezähm­ten Wölfen stam­men. Im Einzelnen braucht uns das hier gar nicht zu inter­es­sie­ren, nur dach­te ich, Sie könn­ten viel­leicht eben­so wie ich die Vorstellung beein­dru­ckend fin­den, daß wir Menschen seit 12 bis 15.000 Jahren von Hunden beglei­tet werden.

Was dem Hund die­ses Schicksal bescher­te war sei­ne sozia­le Veranlagung, die es ihm ermög­lich­te, sich in die Verbände, die der Mensch im Zusammenleben bil­det, ein­zu­fü­gen. Anders aus­ge­drückt: so ver­schie­den Mensch und Hund von ihren Sinnesleistungen und vie­len Bedürfnissen her sind, so ähn­lich ist in gewis­ser Weise die in ihnen ange­leg­te Sozialstruktur.

Wölfe bil­den Rudel, die nach innen einen fes­ten Zusammenhalt auf­wei­sen, und in denen die ein­zel­nen Mitglieder ihre klar umris­se­ne Position haben. Meist besteht ein sol­ches Rudel aus Vater und Mutter, eini­gen “Onkeln” und “Tanten”, die von die­sem Paar abstam­men, und einem Wurf von  jün­ge­ren Geschwistern. Als durch­schnitt­li­che Größe eines Rudels habe ich bei David Mech, einem der bes­ten Wolfskenner, die Zahl 7 gefun­den – mit dem Hinweis, daß es eini­ger­ma­ßen gro­ße Schwankungen gibt. Stellvertretend für vie­le Veröffentlichungen über das sozia­le Leben im Rudel zitie­re ich aus dem Buch von Candace Savage:

“Das tra­gen­de Element einer Wolfsgemeinschaft ist ins­be­son­de­re die Liebenswürdigkeit der Tiere. …Ausschlaggebend für die meist aus­ge­gli­che­ne Atmosphäre inner­halb eines Wolfsrudels ist eine ein­wand­frei funk­tio­nie­ren­de Kommunikation zwi­schen den Tieren. Wölfe ver­fü­gen wie Menschen über eine aus­drucks­vol­le Gesichtsmimik. Daher kann ein Tier durch sub­ti­les Mienenspiel mit Stirn, Mund, Augen und Ohren ganz genau ver­mit­teln, wie es sich fühlt, und sei­ne Artgenossen kön­nen ent­spre­chend reagieren.”

Diesen Beobachtungen kön­nen wir sehr deut­lich ent­neh­men, daß Rudelbildung etwas gründ­lich ande­res als eine Hackordnung ist, viel­mehr einer koope­ra­tiv zusam­men­ar­bei­ten­den Familie ähnelt. Zwar gibt es vor allem in der Fortpflanzungszeit auch Rangkämpfe, wich­ti­ger ist jedoch der wech­sel­sei­ti­ge Respekt und Zusammenhalt, in wel­chem jeder sei­nen Teil der Aufgaben im Rudel erfüllt. Die Alpha-Tiere des Rudels (meist wie gesagt Vater und Mutter der jün­ge­ren) zei­gen – über­ein­stim­mend von vie­len Beobachtern berich­tet – rela­tiv weni­ge direk­te Aggressionen. Dies kommt eher bei den rang­nie­de­ren und unsi­che­ren Tieren vor. Hallgren for­mu­liert es so: “Derjenige, der am bes­ten sei­ne Ruhe und Würde bewahrt, ist letzt­end­lich der Ranghöchste.”

Hierzu möch­te ich noch eine münd­li­che Mitteilung von Frau Feddersen-Petersen anfü­gen, nach wel­cher sogar Wechsel in der Alpha-Position des Rudels z. T. ohne jeden Kampf nur über mimi­schen und ges­ti­schen Austausch zustan­de kom­men kön­nen. D.h. also unse­re Hunde brin­gen eine aus­ge­präg­te Veranlagung zur sozia­len Bindung und Einordnung mit und damit untrenn­bar ver­bun­den ein dif­fe­ren­zier­tes Ausdrucksverhalten, mit wel­chem die Probleme des Zusammenlebens gere­gelt wer­den kön­nen und “Ernstkämpfe” weit­ge­hend ver­mie­den werden.

Für uns folgt daraus:
Unsere Hunde brau­chen, um sich sicher zu füh­len, ihre klar defi­nier­te Position im Rudel bzw. in ihrer Familie mit den dazu­ge­hö­ri­gen Aufgaben und Rechten, und wir kön­nen ihret­we­gen Hunden auch um so eher eine sol­che dem Rudel ent­spre­chen­de Gemeinschaft vol­ler wech­sel­sei­ti­ger Zuverlässigkeit und wech­sel­sei­ti­gem Vertrauen in einem rei­bungs­lo­sen Miteinander bil­den, je bes­ser auch bei uns die wech­sel­sei­ti­ge Verständigung funk­tio­niert, d. h. je genau­er wir das Ausdrucksverhalten unse­rer Hunde ver­ste­hen und je kla­rer für unse­re Hunde unser Ausdrucksverhalten ver­ständ­lich ist.

Dazu müs­sen wir uns näher zunächst wei­ter mit dem sozia­len Verhalten der Hunde unter­ein­an­der befas­sen und mit wel­chen Formen des Ausdrucks sie es regeln. Diese kön­nen wir heu­te nur grob – klas­si­fi­zie­rend unter­schei­den – wenn Interesse besteht, will ich ger­ne ver­su­chen, aus­führ­li­ches Bild- und Filmmaterial für ein gründ­li­ches Anschauen und Vergleichen ein­zel­ner mimi­scher und ges­ti­scher Abläufe zusam­men­zu­stel­len. Heute geht es uns ja mehr um die grund­sätz­li­chen Zusammenhänge.

Für unse­ren heu­ti­gen Zweck genügt die Einteilung in 4 Klassen von Verhaltensabläufen:

  1. Verhaltensabläufe, in denen posi­ti­ve Zuwendung aus­ge­drückt wird und direk­ter Körperkontakt mit ent­hal­ten ist. Beispiele sind: Spiele zwi­schen Hunden, beson­ders hin­rei­ßend zu beob­ach­ten bei Junghunden und Welpen, beim müt­ter­li­chen Pflegeverhalten, beim sexu­el­len Kontakt, beim   Kontaktliegen u.s.w.
  2. Kommunikation zwi­schen Hunden ohne Körperkontakt, die aber freund­lich oder neu­tral abläuft. Wir kön­nen das bei distan­zier­ten Begegnungen von älte­ren Hunden beob­ach­ten, aber auch bei der Kooperation von Hunden beim Jagen – sie müs­sen sich dafür nicht ein­mal ken­nen. Auch Spielaufforderungen eines Hundes, auf die der ande­re nicht ein­geht und das z. T. durch Abwenden zeigt, gehö­ren hierher.
  3. Kommunikation ohne Körperkontakt mit aver­si­ven Elementen. Beispiele dafür sind das Verteidigen des Futters gegen einen ande­ren Hund oder Signale, mit denen die vom Hund gewünsch­te Distanz zum ande­ren auf­recht erhal­ten wird. Das kann zwi­schen ein­an­der frem­den Hunden ablau­fen, aber auch zwi­schen bekann­ten, etwa wenn ein Junghund einem älte­ren gegen­über über Gebühr zudring­lich wird oder sonst etwas. Die Mittel, die ein Hund dafür ein­setzt, sind:· Lefzen hoch­zie­hen oder Knurren
    · Lefzen hoch­zie­hen und Knurren
    · Lefzen hoch­zie­hen, Knurren und
    · Abschnappen.
  4. Kommunikation mit Körperkontakt mit aver­si­ven Elementen, d.h. Ernstkampf

Was die Häufigkeit der ein­zel­nen Verhaltensweisen angeht, haben wir zuvor schon gehört, daß die her­vor­ste­chen­de Eigenschaft, die von Beobachtern von Wolfsrudeln über­ein­stim­mend berich­tet wird, den fried­li­chen Umgang unter­ein­an­der betrifft. D. h. die vier­te Verhaltenskategorie ist die rela­tiv sehr sel­ten gezeig­te. Meist genügt auch bei Konflikten die Kategorie 3 und als wesent­lich für den Zusammenhalt des Rudels müs­sen wir die hohe Häufigkeit der kon­flikt­frei­en Verständigung ansehen.