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Artgemäße Hundeausbildung

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Artgemäße Hundeausbildung – was ist das eigentlich?

Raina Wolff, Dipl.-Psych.,
1. Vorsitzende des “Hunde-Rudel”,
Verein für art­ge­mä­ße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen

– Vortrag am Theorieabend am 15. März 1995 –

Einleitung
Ich freue mich dar­über, daß Sie gekom­men sind, und wir uns hier gemein­sam die Zeit neh­men, uns genau­er auf die Grundlagen zu besin­nen, auf denen wir im Umgang mit dem Hund auf­bau­en kön­nen. Wir ver­su­chen das ja auch wäh­rend der Übungsstunden, mer­ken aber immer wie­der, wie vie­les wir – eben­so wie die Hunde – dabei auf ein­mal ver­ar­bei­ten müs­sen. So schien mir eine ruhi­ge Denkpause wichtig.

Es gibt einen alten päd­ago­gi­schen Grundsatz: man muß den ande­ren da abho­len, wo er sich befin­det, d.h. dar­an anknüp­fen, wie er denkt und fühlt, was für Bedürfnisse er hat, was er schon kann und wie er Neues auf­nimmt und ord­net. Ein Grundsatz, der sich neben­bei gesagt in jeder belie­bi­gen zwi­schen­mensch­li­chen Situation bewährt und eben auch dann, wenn wir als Menschen ver­su­chen, mit einem uns einer­seits ver­trau­ten und dann doch wie­der so ganz ande­ren Lebewesen wie unse­rem Hund in Kontakt zu kommen.

Fangen wir nun also an, etwas genau­er danach zu fra­gen, wie sich die Welt unse­res Hundes auf­baut, wie er wahr­nimmt, was für ihn natür­lich und wich­tig ist.

Wir bau­en unser Bild von der Welt auf durch das, was wir sehen, hören, rie­chen, schme­cken, tas­ten, emp­fin­den – und das tut unser Hund genau so – nur gibt es da ein paar gra­vie­ren­de Unterschiede, was dabei der Hund und was wir aufnehmen:

 A. Durch die Wahrnehmungsweise gege­be­ne Grundlagen 

A1. Sehen
Vergleichen wir kurz: für uns ist das Sehen ein beson­ders wich­ti­ges Mittel der Orientierung. Wir sind sehr gut in der Lage, räum­lich und far­big zu sehen. Unsere Stärke ist das genaue Erkennen unbe­weg­ter Objekte. Bewegte Objekte in der Ferne genau zu erken­nen fällt uns eher schwer.

Der Hund dage­gen hat Schwierigkeiten, unbe­weg­te Objekte zu erken­nen (z. B. auch sei­nen Führer, wenn die­ser in eini­ger Entfernung vor einem Hintergrund, von dem er sich wenig abhebt, unbe­wegt sitzt oder steht), er erkennt ihn aber auf meh­re­re hun­dert Meter noch mühe­los, wenn er sich auch nur gering­fü­gig bewegt. D.h. er reagiert sehr fein auf Bewegungsmuster und auch auf gering­fü­gi­ge Veränderungen von diesen.

Halten wir das fest – es hat zahl­rei­che Folgen für einen geschick­ten Umgang mit dem Hund.

A2. Hören
Nun zum Ohr: im Vergleich zu uns hört unser Hund ganz exzel­lent (die Angaben, die ich in Büchern fand, schwan­ken zwi­schen fünf mal so gut und sieb­zehn mal so gut wie wir). Und er kann eine Schallquelle auf ein bis zwei Grad genau orten (wir ver­gleichs­wei­se etwa auf 16 Grad genau); das bedeu­tet, er ortet mit dem Gehör auf hun­dert Meter etwa 2 bis 3 Meter genau (wir dage­gen etwa 30 Meter). Das heißt, er lebt, auch was das Akustische angeht, in einer ganz ande­ren Welt als wir. Wieder wer­den sich hier­aus eine gan­ze Reihe von Konsequenzen im Umgang ergeben.

A3. Riechen
Daß Hunde ganz unver­gleich­lich bes­ser rie­chen kön­nen als wir, ist all­ge­mein bekannt. Das Riechfeld der mensch­li­chen Nase hat eine Ausdehnung von etwa 5 Quadratzentimetern, die Riechschleimhaut ist 0,006 mm dick. Das Riechfeld des Hundes hat eine Ausdehnung von 140 bis 170 Quadratzentimetern, die Riechschleimhaut ist etwa 0,1mm dick. Diese Durchschnittsangaben kön­nen viel­leicht ein wenig unse­re Phantasie anre­gen, wenn wir uns vor­stel­len wol­len, wie ver­schie­den die Erlebnisse unse­res Hundes von den unse­ren sind, wenn wir zusam­men spa­zie­ren gehen, an wie­viel hoch inter­es­san­ten Informationen wir z. B. total ver­ständ­nis­los vor­bei lau­fen – oder unter müh­se­li­gem Zerren vor­bei­zu­lau­fen ver­su­chen. Es ist reiz­voll, sich zu über­le­gen, wel­che Anpassungsleistung der Hund erbrin­gen muß, sich in ein “Rudel” ein­zu­ord­nen, das von allem, was wirk­lich inter­es­sant ist, so rela­tiv wenig auf­nimmt und versteht.

A4. Tastsinn
Auch der Tastsinn des Hundes, beson­ders in der Nasenregion und den Pfoten, ist sehr aus­dif­fe­ren­ziert und er nutzt ihn auch häu­fi­ger als wir den unseren.

A5. Nervenbahnen und Gehirn
Als letz­tes nen­ne ich noch die Vergleichsdaten für Gehirn und Rückenmark: beim Menschen ist das Verhältnis zwi­schen dem Hirngewicht und Rückenmarksgewicht 48:1, beim Hund 5:1, und das Verhältnis Gehirngewicht zu Gesamtkörpergewicht ist beim Menschen unge­fähr 1:52 und beim Hund 1:235.

Ohne im Einzelnen auf die Frage ein­zu­ge­hen, ob der Hund denkt oder nur Verknüpfungen lernt, kön­nen wir fest­stel­len, daß der Vergleich hier ein­mal zu unse­ren Gunsten aus­fällt – das bedeu­tet aber auch für uns die Verpflichtung, unse­re Möglichkeiten zum Nachdenken zu nüt­zen und her­aus­zu­fin­den, wie wir uns dem Hund best­mög­lich ver­ständ­lich machen können.

Zusammenfassung
Fassen wir die wich­tigs­ten bespro­che­nen Eigenschaften zusam­men: in unse­rem Hund haben wir ein Gegenüber, das außer­or­dent­lich genau auf Bewegungen reagiert, her­vor­ra­gend hört, und in einer fein aus­dif­fe­ren­zier­ten Geruchswelt lebt, von der wir fast nichts mit­be­kom­men. Als ers­te Folgerungen für unse­ren Umgang mit die­sem Gegenüber ergibt sich:

Sich die Grundlage der Verständigung von den Sinnesleistungen des Hundes her zu ver­ge­gen­wär­ti­gen ist eine ele­men­ta­re Notwendigkeit und hat uns nun schon eini­ge wich­ti­ge Hinweise gebracht. Viel wesent­li­cher ist aber etwas ande­res. Warum wur­de aus­ge­rech­net der Hund das ältes­te Haustier der Menschen?

B. Soziale Veranlagung des Hundes

Sein Stammvater Wolf ist die frü­her am wei­tes­ten ver­brei­te­te Wildtierart unter den Landsäugetieren: es gab ihn in ganz Eurasien (mit Ausnahme der tro­pi­schen Gebiete) sowie in Nordamerika. Die Haustierwerdung erstreck­te sich über einen lan­gen Zeitraum: Funde aus der mitt­le­ren Jungsteinzeit zei­gen, daß schon damals unmit­tel­bar in der Umgebung eis­zeit­li­cher Jäger gezähm­te Wölfe gelebt haben müs­sen, die gele­gent­lich auch Junge bekom­men haben. Häufiger muß es sich um Tiere gehan­delt haben, die im Alter von weni­gen Wochen zu den Wohnplätzen gebracht wor­den sind (Beides läßt sich an bestimm­ten Zahnanomalien nachweisen).

Hinweise auf Haushunde fin­den sich dann erst in Funden aus der Zeit zwi­schen 13000 – 7000 vor Christus. D. h. es gibt aus die­sem Zeitraum Knochenfunde, die mor­pho­lo­gisch bereits ein­deu­tig von Hunden und nicht von wild leben­den oder gezähm­ten Wölfen stam­men. Im Einzelnen braucht uns das hier gar nicht zu inter­es­sie­ren, nur dach­te ich, Sie könn­ten viel­leicht eben­so wie ich die Vorstellung beein­dru­ckend fin­den, daß wir Menschen seit 12 bis 15.000 Jahren von Hunden beglei­tet werden.

Was dem Hund die­ses Schicksal bescher­te war sei­ne sozia­le Veranlagung, die es ihm ermög­lich­te, sich in die Verbände, die der Mensch im Zusammenleben bil­det, ein­zu­fü­gen. Anders aus­ge­drückt: so ver­schie­den Mensch und Hund von ihren Sinnesleistungen und vie­len Bedürfnissen her sind, so ähn­lich ist in gewis­ser Weise die in ihnen ange­leg­te Sozialstruktur.

Wölfe bil­den Rudel, die nach innen einen fes­ten Zusammenhalt auf­wei­sen, und in denen die ein­zel­nen Mitglieder ihre klar umris­se­ne Position haben. Meist besteht ein sol­ches Rudel aus Vater und Mutter, eini­gen “Onkeln” und “Tanten”, die von die­sem Paar abstam­men, und einem Wurf von  jün­ge­ren Geschwistern. Als durch­schnitt­li­che Größe eines Rudels habe ich bei David Mech, einem der bes­ten Wolfskenner, die Zahl 7 gefun­den – mit dem Hinweis, daß es eini­ger­ma­ßen gro­ße Schwankungen gibt. Stellvertretend für vie­le Veröffentlichungen über das sozia­le Leben im Rudel zitie­re ich aus dem Buch von Candace Savage:

“Das tra­gen­de Element einer Wolfsgemeinschaft ist ins­be­son­de­re die Liebenswürdigkeit der Tiere. …Ausschlaggebend für die meist aus­ge­gli­che­ne Atmosphäre inner­halb eines Wolfsrudels ist eine ein­wand­frei funk­tio­nie­ren­de Kommunikation zwi­schen den Tieren. Wölfe ver­fü­gen wie Menschen über eine aus­drucks­vol­le Gesichtsmimik. Daher kann ein Tier durch sub­ti­les Mienenspiel mit Stirn, Mund, Augen und Ohren ganz genau ver­mit­teln, wie es sich fühlt, und sei­ne Artgenossen kön­nen ent­spre­chend reagieren.”

Diesen Beobachtungen kön­nen wir sehr deut­lich ent­neh­men, daß Rudelbildung etwas gründ­lich ande­res als eine Hackordnung ist, viel­mehr einer koope­ra­tiv zusam­men­ar­bei­ten­den Familie ähnelt. Zwar gibt es vor allem in der Fortpflanzungszeit auch Rangkämpfe, wich­ti­ger ist jedoch der wech­sel­sei­ti­ge Respekt und Zusammenhalt, in wel­chem jeder sei­nen Teil der Aufgaben im Rudel erfüllt. Die Alpha-Tiere des Rudels (meist wie gesagt Vater und Mutter der jün­ge­ren) zei­gen – über­ein­stim­mend von vie­len Beobachtern berich­tet – rela­tiv weni­ge direk­te Aggressionen. Dies kommt eher bei den rang­nie­de­ren und unsi­che­ren Tieren vor. Hallgren for­mu­liert es so: “Derjenige, der am bes­ten sei­ne Ruhe und Würde bewahrt, ist letzt­end­lich der Ranghöchste.”

Hierzu möch­te ich noch eine münd­li­che Mitteilung von Frau Feddersen-Petersen anfü­gen, nach wel­cher sogar Wechsel in der Alpha-Position des Rudels z. T. ohne jeden Kampf nur über mimi­schen und ges­ti­schen Austausch zustan­de kom­men kön­nen. D.h. also unse­re Hunde brin­gen eine aus­ge­präg­te Veranlagung zur sozia­len Bindung und Einordnung mit und damit untrenn­bar ver­bun­den ein dif­fe­ren­zier­tes Ausdrucksverhalten, mit wel­chem die Probleme des Zusammenlebens gere­gelt wer­den kön­nen und “Ernstkämpfe” weit­ge­hend ver­mie­den werden.

Für uns folgt daraus:
Unsere Hunde brau­chen, um sich sicher zu füh­len, ihre klar defi­nier­te Position im Rudel bzw. in ihrer Familie mit den dazu­ge­hö­ri­gen Aufgaben und Rechten, und wir kön­nen ihret­we­gen Hunden auch um so eher eine sol­che dem Rudel ent­spre­chen­de Gemeinschaft vol­ler wech­sel­sei­ti­ger Zuverlässigkeit und wech­sel­sei­ti­gem Vertrauen in einem rei­bungs­lo­sen Miteinander bil­den, je bes­ser auch bei uns die wech­sel­sei­ti­ge Verständigung funk­tio­niert, d. h. je genau­er wir das Ausdrucksverhalten unse­rer Hunde ver­ste­hen und je kla­rer für unse­re Hunde unser Ausdrucksverhalten ver­ständ­lich ist.

Dazu müs­sen wir uns näher zunächst wei­ter mit dem sozia­len Verhalten der Hunde unter­ein­an­der befas­sen und mit wel­chen Formen des Ausdrucks sie es regeln. Diese kön­nen wir heu­te nur grob – klas­si­fi­zie­rend unter­schei­den – wenn Interesse besteht, will ich ger­ne ver­su­chen, aus­führ­li­ches Bild- und Filmmaterial für ein gründ­li­ches Anschauen und Vergleichen ein­zel­ner mimi­scher und ges­ti­scher Abläufe zusam­men­zu­stel­len. Heute geht es uns ja mehr um die grund­sätz­li­chen Zusammenhänge.

Für unse­ren heu­ti­gen Zweck genügt die Einteilung in 4 Klassen von Verhaltensabläufen:

  1. Verhaltensabläufe, in denen posi­ti­ve Zuwendung aus­ge­drückt wird und direk­ter Körperkontakt mit ent­hal­ten ist. Beispiele sind: Spiele zwi­schen Hunden, beson­ders hin­rei­ßend zu beob­ach­ten bei Junghunden und Welpen, beim müt­ter­li­chen Pflegeverhalten, beim sexu­el­len Kontakt, beim   Kontaktliegen u.s.w.
  2. Kommunikation zwi­schen Hunden ohne Körperkontakt, die aber freund­lich oder neu­tral abläuft. Wir kön­nen das bei distan­zier­ten Begegnungen von älte­ren Hunden beob­ach­ten, aber auch bei der Kooperation von Hunden beim Jagen – sie müs­sen sich dafür nicht ein­mal ken­nen. Auch Spielaufforderungen eines Hundes, auf die der ande­re nicht ein­geht und das z. T. durch Abwenden zeigt, gehö­ren hierher.
  3. Kommunikation ohne Körperkontakt mit aver­si­ven Elementen. Beispiele dafür sind das Verteidigen des Futters gegen einen ande­ren Hund oder Signale, mit denen die vom Hund gewünsch­te Distanz zum ande­ren auf­recht erhal­ten wird. Das kann zwi­schen ein­an­der frem­den Hunden ablau­fen, aber auch zwi­schen bekann­ten, etwa wenn ein Junghund einem älte­ren gegen­über über Gebühr zudring­lich wird oder sonst etwas. Die Mittel, die ein Hund dafür ein­setzt, sind:· Lefzen hoch­zie­hen oder Knurren
    · Lefzen hoch­zie­hen und Knurren
    · Lefzen hoch­zie­hen, Knurren und
    · Abschnappen.
  4. Kommunikation mit Körperkontakt mit aver­si­ven Elementen, d.h. Ernstkampf

Was die Häufigkeit der ein­zel­nen Verhaltensweisen angeht, haben wir zuvor schon gehört, daß die her­vor­ste­chen­de Eigenschaft, die von Beobachtern von Wolfsrudeln über­ein­stim­mend berich­tet wird, den fried­li­chen Umgang unter­ein­an­der betrifft. D. h. die vier­te Verhaltenskategorie ist die rela­tiv sehr sel­ten gezeig­te. Meist genügt auch bei Konflikten die Kategorie 3 und als wesent­lich für den Zusammenhalt des Rudels müs­sen wir die hohe Häufigkeit der kon­flikt­frei­en Verständigung ansehen.

C. Folgerungen für den Umgang mit dem Hund

Daraus erge­ben sich nun gleich eine gan­ze Menge Folgerungen, wenn wir art­ge­recht mit unse­rem Hund umge­hen wol­len, d. h. so wie es sei­nen Anlagen entspricht:

  1. Positiv getön­te Formen des Umgangs soll­ten auf jeden Fall die nega­ti­ven weit über­wie­gen. (Wenn man dar­über ein biß­chen nach­denkt,  kommt einem der schlim­me Verdacht, daß wir oft sehr viel phan­ta­sie­vol­ler im Ausdenken von Strafen sind als von Belohnungen).
  2. Berührungen des Hundes soll­ten – außer wenn wir glau­ben in einem Ernstkampf um Rang oder Leben ver­wi­ckelt zu sein, und dann ist im Vorfeld eini­ges schief gelau­fen – mög­lichst aus­schließ­lich im Rahmen posi­ti­ver Interaktion ablaufen.
  3. Wollen wir unse­rem Hund Grenzen auf­zei­gen bzw. auf den von uns gesetz­ten Spielregeln des Verhaltens bestehen, so soll­ten wir gleich­zei­tig auch sei­ne Spielregeln was die Verständigung angeht berück­sich­ti­gen. D. h. wir soll­ten etwas fin­den, was der in der Intensität wach­sen­den Drohlinie ent­spricht. Gehen wir den Hund ohne die­se Vorwarnungen direkt an, so zei­gen wir ein Verhalten, das für ihn zum Ernstkampf gehört. Und lei­der tun wir das sehr oft, über­wie­gend – wie ich anneh­me – nicht, weil wir dem Hund Schmerzen zufü­gen oder ihn bewußt quä­len wol­len, son­dern aus Hundeausbildungs-tra­di­tio­nen her­aus, die zu Zeiten ent­stan­den, in denen es kaum zuver­läs­si­ge Beobachtungen des Wildtieres Wolf gab und in denen das Haustier Hund als ein dem Menschen aus­ge­lie­fer­ter Untertan, nicht als Mitgeschöpf mit eige­nen auch zu respek­tie­ren­den Bedingungen ange­se­hen wurde.

Schauen wir uns eini­ge Beispiele an, wo wir die hundli­chen Regeln der schritt­wei­sen Vorwarnungen, wie man sich an den Kragen geht, miß­ach­ten. Nackenschütteln und Leinenruck – bei­des für den Hund Elemente aus dem “Ernstkampf” – kom­men oft aus der irri­gen Annahme, dies sei die typi­sche müt­ter­li­che Bestrafungsart durch die Hundemutter. Hier hat jeder von uns Sünden wider das anstän­di­ge Verhalten, wie es im Hund ange­legt ist, auf sich gela­den. Fast jeder von uns hat ja das alles auch so schon gesagt bekom­men – mit der Voraussetzung, so müs­se es sein, damit der Hund etwas lernt. Und er lernt dabei auch etwas: näm­lich bestimm­te Verhaltensweisen aus­füh­ren aus Angst vor Schmerz – er lernt, daß Herrchen oder Frauchen manch­mal unbe­re­chen­bar und ohne für ihn ein­seh­ba­ren Grund grob ist, was natur­ge­mäß Unbehagen mit sich bringt. Wenn der Hund beson­ders gedul­dig ist, zeigt er dar­auf­hin sogar eini­ge ein­schmei­cheln­de Verhaltensweisen – sie stam­men aus dem Umkreis derBeschwichtigungsgesten, Vertrauen drü­cken sie nicht aus.

Er lernt jeden­falls nicht in Kooperation mit sei­nem Führer. Wenn die­ser sich sonst eini­ger­ma­ßen gut ihm gegen­über benimmt, sind die meis­ten Hunde ja auch bereit, uns ziem­lich viel zu ver­zei­hen. Nur bit­te den­ken Sie zurück an die Gehirnleistungen – es ist ein biß­chen pein­lich, aus­ge­rech­net da auf die beson­de­re Gutmütigkeit des Hundes und sei­ne Bindungsfähigkeit ange­wie­sen zu sein, wo wir dank unse­rer Intelligenz eigent­lich etwas mehr zur Verständigung bei­tra­gen könnten.

Wie wer­den wir nun also statt des­sen die ruhi­gen, gelas­se­nen und freund­li­chen Alpha-Tiere, wie wir sie uns als typisch für Wolfsrudel gera­de vor Augen gehal­ten haben, die ohne gro­ßen Aufwand mit Blicken und Bewegungen die Ordnung in ihrem Rudel aufrechterhalten?

  1. Wir brau­chen die ent­spre­chen­de Grundhaltung (Frau Feltmann spricht von wohl­wol­len­der Konsequenz, Hallgren von freund­li­cher Dominanz).
  2. Wir brau­chen eine Ausdrucksweise, die der hundli­chen Verständigung unter­ein­an­der so nahe kommt, daß unser Hund etwas mit ihr anfan­gen kann. D. h. wir brau­chen Formen des Lobes, der Zuneigung, Anerkennung und Aufforderung, die für den Hund mög­lichst unmit­tel­bar ver­ständ­lich und zuver­läs­sig wie­der­erkenn­bar sind. (Die bei uns belieb­te Aufforderung “Komm – mach end­lich Platz” erfüllt z. B. die­se Anforderung nicht.)
  3. Wir müs­sen wis­sen, was wir wirk­lich von unse­rem Hund wol­len, d. h. wel­che Spielregeln er ein­hal­ten soll – ich erin­ne­re: mit­ten im Spiel die Regeln ein­sei­tig und will­kür­lich zu ändern gilt unter Menschen als unfair.

Gehen wir zunächst dem nach, was wir wol­len, das der Hund tut. Schauen wir uns ein­mal das Verhaltensrepertoire unse­res Hundes an: eine gan­ze Menge von dem, was wir von ihm wol­len, tut er sowie­so – er sitzt, liegt, steht, läuft, alles frei­wil­lig und mit Begeisterung. Hier geht es also nur dar­um, ihn dazu zu brin­gen, das auch dann zu tun, wenn wir es gera­de wol­len (bzw. es auch zu unter­las­sen, wenn es in der mensch­li­chen Gesellschaft, in der er gera­de ist, zu unan­ge­mes­se­nen Störungen füh­ren würde).

Dann gibt es Verhaltensmuster, die er ange­bo­re­ner­wei­se all­zu gern aus­le­ben wür­de, die wir aber auf kei­nen Fall wün­schen (z. B. Jagen, Fressen von Dingen, die uns unge­eig­net erschei­nen, Raufen), d. h. wir müs­sen ihn dazu brin­gen, sie zu unter­las­sen – und wir müs­sen ihm anstän­di­ger­wei­se irgend etwas als Ersatz dafür bieten.

Und schließ­lich gibt es noch Forderungen, auf die ein Hund nie von allein käme, die wir aber wol­len, z. B. Fuß lau­fen oder län­ge­re Zeit allein bleiben.

Stellen wir auf die ande­re Seite unse­re Mittel:

  1. Wir kön­nen erwünsch­tes Verhalten ver­stär­ken, wenn es sowie­so auf­tritt, mit Stimme, freund­li­chen Berührungen, Leckerbissen und Spielen aller Art.
  2. Wir kön­nen erwünsch­tes Verhalten dadurch her­vor­lo­cken, daß wir etwas tun, was den Hund ent­spre­chend unse­ren Zielen ani­miert (z. B. wenn wir ihn durch schnel­les Laufen ermun­tern, uns zu fol­gen) und dann wie oben verfahren.
  3. Wir kön­nen aus­nüt­zen, daß der Hund ein Gewohnheitstier ist, indem wir das, was uns wich­tig ist, immer wie­der gleich­för­mig durch­füh­ren und dadurch “Rituale” begrün­den (z. B. wenn wir ihn bei der Vorbereitung des Fressens vor der offe­nen Küchentür sit­zen las­sen, wer­den wir bald erle­ben, wie er um die ent­spre­chen­de Uhrzeit kommt und sich zuver­sicht­lich an die­se Stelle setzt).
  4. Wir kön­nen uner­wünsch­tes Verhalten unter­bin­den, indem wir Alternativen aus dem Verhaltensrepertoire akti­vie­ren, z. B. wenn wir unse­ren Hund mit einem Ballspiel vom Auftauchen sei­nes “Todfeindes” oder eines hoch­in­ter­es­san­ten Joggers ablen­ken oder wenn wir mit dem jun­gen Hund auf einer Wildspur Apportierspiele auf­bau­en, die wir mit nach­hal­ti­gen Belohnungen verbinden.
  5. Schließlich kön­nen wir uner­wünsch­tes Verhalten auch durch eine sich stei­gern­de Reihe von Reaktionen (ent­spre­chend 2.3) ver­hin­dern, näm­lich die Stimme schär­fer wer­den las­sen (“Knurren”) und in ein dro­hen­des Erstarren ver­fal­len. Wir haben not­falls die Möglichkeit zu schritt­wei­se genau kal­ku­lier­ten nega­ti­ven Berührungen, nach­dem wir mehr­fach vor­ge­warnt haben.:“Schnauzengriff” und “Leviten lesen”.

Wenn wir das bis­her Gesagte genau beach­tet haben, wer­den wir ent­de­cken, daß die Notwendigkeit sol­cher unfreund­li­chen Auseinandersetzungen sich eben­so ver­rin­gert, wie es uns die meis­ten Wolfsforscher aus ihren Beobachtungen berichten.

Im Einzelnen wer­den wir unse­re Mittel zur Verständigung mit unse­rem Hund in immer neu­en Kombinationen über­le­gen müs­sen und dann nach den jetzt zusam­men­ge­stell­ten Gesichtspunkten durch­füh­ren. Das klingt viel­leicht kom­pli­ziert, ist es aber nicht, sobald wir uns dar­an gewöhnt haben, die­se für das hundli­che Verhalten wich­tigs­ten Grundbedingungen selbst­ver­ständ­lich ein­zu­be­zie­hen und dadurch dann die Freude einer wirk­lich freund­schaft­li­chen Wechselbeziehung zwi­schen uns und unse­ren Hunden zu erleben.

Hunde-Rudel, Verein für art­ge­mä­ße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen

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