Bei unse­ren Hunden aber ist die­se Reihenfolge ziem­lich aus­ein­an­der gefal­len. Wir haben Jagdhunde gezüch­tet, die z.B. nur Orientierungsverhalten in Richtung Beute zei­gen. Wir haben Hunde gezüch­tet, die die Beute trei­ben bzw. het­zen aber nicht stel­len, packen oder gar töten. Wir haben Apportierhunde, die die Beute packen und zurück brin­gen ohne sie sich selbst zu Gemüte zu füh­ren, dafür feh­len wie­der alle ande­ren Teile. Was ich damit sagen will ist, dass das Jagdverhalten bei unse­ren Hunden nicht, oder nur ver­ein­zelt, noch kom­plett zu sehen ist. Die ein­zel­nen Elemente kön­nen beim Hund unab­hän­gig von ein­an­der auf­tre­ten, wobei man beim Wolf die kom­plet­te Palette beob­ach­ten kann. Es ist z.B. nicht sel­ten, dass man Hunde sieht, die wie wild hin­ter einem Reh her hech­ten, mit flie­gen­der Zunge und Ohren, vor Erregung krei­schend. Doch wehe wenn es ste­hen bleibt. Wenn der Hund dann eben nicht die Verhaltensinformation „packen!“ und „töten“ im gene­ti­schen Code hat, wird er erschreckt weg lau­fen, weil er ein­fach kei­ne Ahnung hat, was er jetzt tun soll.

In kei­nem ande­ren Bereich (außer mitt­ler­wei­le lei­der dem opti­schen) wur­de so viel vom Menschen züch­te­risch mani­pu­liert wie beim Ablauf des Jagdverhaltens.

Sozialverhalten im Vergleich Wolf/Hund
Das Sozialverhalten der Wölfe unter­schei­det sich, wie schon erwähnt, von dem der Hunde in eini­gen Punkten. Aber auch die Geschichten und Vorstellungen, die sich um den Wolf und sein Sozialverhalten ran­ken, sind manch­mal erstaun­lich kind­lich und antiquiert.

Oft wird gemeint, dass der Leitwolf ein rigo­ro­ser Despot ist, der sein Rudel mit einer gna­den­lo­sen Dominanz regiert. Das Schlimme an die­ser Annahme ist, dass vie­le unter uns den­ken, auch sie müss­ten sich so ihrem Hund gegen­über verhalten.

Der Mensch bestimmt die Richtung in die gegan­gen wird, der Hund hat sich danach zu rich­ten. Man geht zuerst durch die Tür, legt sich nie, wenn der Hund da ist, auf den Boden. Der Hund darf sich nicht auf einen setz­ten. Man muss dem Hund das Fressen weg­neh­men kön­nen, weil ein Leitwolf das angeb­lich auch jeder­zeit könn­te etc. pp. Sicher sind das Verhaltensweisen, die Dominanz demons­trie­ren und sind auch in dem einen oder ande­ren Fall nicht unwich­tig. Doch die­ses als prin­zi­pi­ell wich­ti­ges und rich­ti­ges Verhalten zu leh­ren, weil das in „frei­er Natur“ auch so geschieht, ist schlicht weg falsch und ent­täu­schend für den Hund. Der Wolf ist in vie­len Dingen ein durch und durch demo­kra­ti­sches Wesen.

Ein Leitwolf, d.h. der Rüde, ist von sei­nem demons­trier­ten Aggressionspotential her der fried­lichs­te Wolf im gan­zen Rudel. Er ist dar­an inter­es­siert, dass Ruhe, Ordnung und unbe­dingt eine gute Stimmung im Rudel herr­schen, denn nur so kann er sei­ne Position hal­ten. Wenn die Stimmung im Rudel dau­er­haft aggres­siv und gereizt ist, wird er ner­vös und ver­sucht den Störfaktor zu ent­schär­fen. Er ver­hält sich sou­ve­rän. In der Regel hält er sich aus Rangkämpfen sei­ner Untergebenen bis zu einem gewis­sen Punkt heraus.

Der Rüde mit dem meis­ten demons­trier­ten Aggressionspotential ist der so genann­te Beta-Rüde. Also der Wolf, der eigent­lich auf die Alphastellung spe­ku­liert. Er ver­hält sich dem Alpharüden gegen­über pro­tes­tie­rend, defen­siv – aggres­siv. Außerdem ist er stän­dig damit beschäf­tigt den Sub-domi­nan­ten Tieren „eine auf den Deckel zu geben“, damit die bloß nicht auf die Idee kom­men sei­ne u.U. hart erkämpf­te Stellung zu kip­pen. Die sub­do­mi­nan­ten Tiere bil­den den Grossteil des Rudels, wel­ches sich häu­fig aus dem Wurf des letz­ten und teil­wei­se des vor­letz­ten Jahres bil­det. Sie haben unter­ein­an­der eine Rangfolge fest­ge­legt und neh­men ins­ge­samt die letz­te „Position“ im Rudel ein. Hinter ihnen ist nur noch der even­tu­el­le „Prügelknabe“, der Blitzableiter für alle auf­ge­stau­ten Aggressionen jeder­manns ist. Er hat kei­ner­lei Rechte und in der Regel wird er das Rudel nach einem Zeitraum, der durch die Häufigkeit und die Heftigkeit der Angriffe vari­ie­ren kann, ver­las­sen. Dabei wird kein Unterschied zwi­schen männ­li­chen und weib­li­chen Prügelknaben gemacht. Diese Prügelknaben wer­den oft hem­mungs­los ange­grif­fen. Sonstige Konflikte mit ande­ren Rudelmitgliedern wer­den aber laut und mit viel „Getöse“ geklärt, doch viel pas­sie­ren wird nicht. Allerdings wird bei einem ernst­haf­ten Angriff auf, z.B. den Prügelknaben, kein Mucks von sich gege­ben. Es fin­det alles völ­lig still statt bis auf das hef­ti­ge Atmen der Tiere. Hund/Wolf ist voll dar­auf kon­zen­triert sein Gegenüber mög­lichst erheb­lich zu ver­letz­ten und wenn er sich nicht in Sicherheit brin­gen kann, auch zu töten. Keine Demutsgeste wird in einem Ernstkampf erhört, denn hier geht es um Leben und Tod.

Deshalb ist es auch halb so wild, wenn zwei Hunde mit lau­ten „Gekreische“ auf­ein­an­der los­ge­hen. Denn das haben sie von ihrem Urahn über­nom­men. Die Formel, je lau­ter des­to harm­lo­ser die Auseinandersetzung, greift in der Regel auch bei unse­ren Hunden.

Sexualverhalten und Welpenaufzucht
Wie schon ange­schnit­ten gibt es eine geschlecht­li­che Trennung der Rangfolge. Das Alphaweibchen, das sich oft viel län­ger hal­ten kann als der Alpharüde, koaliert näm­lich, recht­zei­tig zum Wechsel der männ­li­chen Macht, mit dem Betarüden und stößt gemein­sam mit ihm den älte­ren Wolf vom Thron. Der Gestürzte Alpha kann dabei zum oben beschrie­be­nen Prügelknaben mutie­ren und muss in der Regel das Rudel ver­las­sen. Der Alphawölfin beschert wei­ter­hin die gesi­cher­te weib­li­che Alphastellung im Rudel.

Die Wolffähen sind wesent­lich kom­pro­miss­lo­ser und aggres­si­ver unter­ein­an­der als die Rüden. Für die Alphawölfin ist es näm­lich wich­tig sämt­li­che Rudelmitglieder für die Versorgung ihrer Welpen ein­zu­span­nen. Je mehr Würfe in einem Rudel auf­ge­zo­gen wer­den wür­den, des­to unwahr­schein­li­cher, dass die Alpha-Welpen durch­kä­men. Also wird zum Winter hin jedes weib­li­che Wesen von der Alphawölfin aus dem Rudel ver­bannt, oder bewacht und unter­drückt, so dass sie vor Stress nicht in die jähr­li­che Ranz kommt. Im Februar ist es bei der Alphawölfin soweit, sie beginnt in die Ranz zu kom­men und sämt­li­che Rüden ver­su­chen ihr Glück. In der „Hauptzeit“ darf das aber nur der Alphawolf. Entweder wer­den die ande­ren von ihm per­sön­lich oder von der Alphawölfin weg­ge­bis­sen. Die lan­ge Vorbereitungszeit des Winters auf die Paarungszeit im Februar ist des­halb so wich­tig, weil die Wolfrüden nicht das gan­ze Jahr „im Saft ste­hen“. Ihre Fruchtbarkeit wird erst durch die abge­son­der­ten Duftstoffe des Wolfsweibchens angeregt.

Erstaunlich dabei ist aber, dass sich die Alphawölfin in den Nebenzeiten (also die Zeit zu Beginn oder zum Ende der Ranz, in der die Wölfin nicht frucht­bar ist) von ande­ren Wolfsrüden als dem Alphawolf des Rudels decken lässt.

Warum tut sie das?
Sie tut es des­halb, weil sich dann mehr männ­li­che Wölfe für den Wurf ver­ant­wort­lich füh­len und für­sorg­lich sind, d.h. die Überlebenschance des Wurfes poten­ziert sich.

Mit ihren „Konkurrentinnen“ ist die Alphawölfin rigo­ros. Sollte doch eine Wölfin zum „Zuge“ gekom­men sein und tra­gen, wird der Wurf von der Alphawölfin getö­tet. Es ist nur sehr, sehr sel­ten, dass meh­re­re Würfe in einem Wolfsrudel auf­ge­zo­gen wer­den. Alles in der Natur ori­en­tiert sich dar­an, dass der Stärkste über­lebt und so bio­lo­gisch die Erhaltung der Art durch den Stärksten gesi­chert wird. Das klingt grau­sam, ist aber völ­lig nor­mal und gesund.

Die geschlecht­lich getrenn­te Rangordnung exis­tiert zwar auch noch bei unse­ren Hunden, doch gibt es vie­le Querverbindungen. Deshalb gibt es zwi­schen­ge­schlecht­li­che Rangeleien viel häu­fi­ger bei den Hunden als bei den Wölfen. Für unse­re Hündinnen gibt es kei­ne spe­zi­el­le Zeit, in der sie läu­fig sind. Sie sind es zwei­mal im Jahr und die Rüden sind das gan­ze Jahr über frucht­bar. Es ist auch durch die Obhut des Menschen nicht mehr nötig für die Hunde, die Jahreszeiten aus­zu­nut­zen. Die Hündinnen sind nicht wäh­le­risch in Sachen Rüden und wer kommt, der kann. Die Hündin ist nicht dar­an inter­es­siert nur den Alpharüden Vater ihrer Welpen wer­den zu las­sen. Der Alpharüde passt zwar auf, dass kein Nebenbuhler zum Zuge kom­men kann, ist aber lan­ge nicht so ernst­haft bei der Sache, wie das der Alphawolf ist. Ursache ist aber der feh­len­de Selektionsdruck. Auch hier haben sich also die kom­pli­zier­ten Spuren des Wolfes völ­lig verloren.

Die Bindung im Wolfsrudel ist enorm, und zwar Rang unab­hän­gig. Will man ein Alphatier aus dem Rudel ent­fer­nen ver­sucht es genau­so beim Rudel zu blei­ben, wie ein rang­nied­ri­ge­res Tier. Auf Spaziergängen mit sei­nen zah­men Wölfen hat Ziemen fol­gen­den Versuch gemacht:

Er ist mit zwei Gruppen von Wölfen und Menschen im 180° Winkel aus­ein­an­der gegan­gen und hat einen oder zwei wei­te­re Wölfe in der Mitte zurück gelas­sen. Die ers­te Gruppe bestand aus dem Leittier und Ziemen selbst. Die zwei­ten Gruppe bestand aus 5 sub­do­mi­nan­ten Tieren und deren Führer. Die Wölfe lie­fen alle aus­nahms­los zur grö­ße­ren Gruppe hin. Der von Ziemen geführ­te Alphawolf wehr­te sich erheb­lich und war kaum zu hal­ten. Er woll­te wie­der zu sei­nem Rudel zurück.

Je grö­ßer eine Gruppe Wölfe ist (bis zu einer Maximalzahl, die vari­ie­ren kann und sich nach den Lebensbedingungen rich­tet) des­to grö­ßer ist die Überlebenschance der Tiere. Es ist also siche­rer, für einen ein­zel­nen Wolf oder eine klei­ne Gruppe, sich für eine grö­ße­re Gruppe zu ent­schei­den, als für einen ein­zel­nen Alphawolf. Und was wäre ein Alphawolf ohne sein Rudel? Natürlich ist er bemüht bei sei­nem Rudel zu blei­ben, denn nur dort kann er sei­ne Alphastellung leben.

Eine inter­es­san­te Beobachtung war noch, dass die männ­li­chen Tiere der Gruppe eine wesent­lich grö­ße­re Maximaldistanz zum Rudel „ver­kraf­ten“ konn­ten und teil­wei­se auch such­ten, als die weib­li­chen Tiere.

Unsere Hunde bin­den sich anders. Ein Hund geht eine enge Beziehung zum Menschen ein. Er sucht sich meis­tens einen Menschen aus der Familie her­aus, an den er sich beson­ders bin­det. Dies ist das Erfolgsrezept der Hunde. So haben sie über Jahrhunderte ihr Überleben sichern kön­nen. Diesem Menschen folgt er und zwar unab­hän­gig von der Gruppengröße. Was aller­dings recht ähn­lich ist, ist, dass sich unse­re Rüden bei einem Spaziergang wei­ter ent­fer­nen als die Hündinnen. Also ist auch bei unse­ren Hunden die Maximaldistanz zum Rudel, bzw. zur Bezugsperson, geschlechts­spe­zi­fisch unterschiedlich.