Artgemäße Hundeausbildung – was ist das eigentlich?
Raina Wolff, Dipl.-Psych.,
1. Vorsitzende des “Hunde-Rudel”,
Verein für artgemäße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen
– Vortrag am Theorieabend am 15. März 1995 –
Einleitung
Ich freue mich darüber, daß Sie gekommen sind, und wir uns hier gemeinsam die Zeit nehmen, uns genauer auf die Grundlagen zu besinnen, auf denen wir im Umgang mit dem Hund aufbauen können. Wir versuchen das ja auch während der Übungsstunden, merken aber immer wieder, wie vieles wir – ebenso wie die Hunde – dabei auf einmal verarbeiten müssen. So schien mir eine ruhige Denkpause wichtig.
Es gibt einen alten pädagogischen Grundsatz: man muß den anderen da abholen, wo er sich befindet, d.h. daran anknüpfen, wie er denkt und fühlt, was für Bedürfnisse er hat, was er schon kann und wie er Neues aufnimmt und ordnet. Ein Grundsatz, der sich nebenbei gesagt in jeder beliebigen zwischenmenschlichen Situation bewährt und eben auch dann, wenn wir als Menschen versuchen, mit einem uns einerseits vertrauten und dann doch wieder so ganz anderen Lebewesen wie unserem Hund in Kontakt zu kommen.
Fangen wir nun also an, etwas genauer danach zu fragen, wie sich die Welt unseres Hundes aufbaut, wie er wahrnimmt, was für ihn natürlich und wichtig ist.
Wir bauen unser Bild von der Welt auf durch das, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, empfinden – und das tut unser Hund genau so – nur gibt es da ein paar gravierende Unterschiede, was dabei der Hund und was wir aufnehmen:
A. Durch die Wahrnehmungsweise gegebene Grundlagen
A1. Sehen
Vergleichen wir kurz: für uns ist das Sehen ein besonders wichtiges Mittel der Orientierung. Wir sind sehr gut in der Lage, räumlich und farbig zu sehen. Unsere Stärke ist das genaue Erkennen unbewegter Objekte. Bewegte Objekte in der Ferne genau zu erkennen fällt uns eher schwer.
Der Hund dagegen hat Schwierigkeiten, unbewegte Objekte zu erkennen (z. B. auch seinen Führer, wenn dieser in einiger Entfernung vor einem Hintergrund, von dem er sich wenig abhebt, unbewegt sitzt oder steht), er erkennt ihn aber auf mehrere hundert Meter noch mühelos, wenn er sich auch nur geringfügig bewegt. D.h. er reagiert sehr fein auf Bewegungsmuster und auch auf geringfügige Veränderungen von diesen.
Halten wir das fest – es hat zahlreiche Folgen für einen geschickten Umgang mit dem Hund.
A2. Hören
Nun zum Ohr: im Vergleich zu uns hört unser Hund ganz exzellent (die Angaben, die ich in Büchern fand, schwanken zwischen fünf mal so gut und siebzehn mal so gut wie wir). Und er kann eine Schallquelle auf ein bis zwei Grad genau orten (wir vergleichsweise etwa auf 16 Grad genau); das bedeutet, er ortet mit dem Gehör auf hundert Meter etwa 2 bis 3 Meter genau (wir dagegen etwa 30 Meter). Das heißt, er lebt, auch was das Akustische angeht, in einer ganz anderen Welt als wir. Wieder werden sich hieraus eine ganze Reihe von Konsequenzen im Umgang ergeben.
A3. Riechen
Daß Hunde ganz unvergleichlich besser riechen können als wir, ist allgemein bekannt. Das Riechfeld der menschlichen Nase hat eine Ausdehnung von etwa 5 Quadratzentimetern, die Riechschleimhaut ist 0,006 mm dick. Das Riechfeld des Hundes hat eine Ausdehnung von 140 bis 170 Quadratzentimetern, die Riechschleimhaut ist etwa 0,1mm dick. Diese Durchschnittsangaben können vielleicht ein wenig unsere Phantasie anregen, wenn wir uns vorstellen wollen, wie verschieden die Erlebnisse unseres Hundes von den unseren sind, wenn wir zusammen spazieren gehen, an wieviel hoch interessanten Informationen wir z. B. total verständnislos vorbei laufen – oder unter mühseligem Zerren vorbeizulaufen versuchen. Es ist reizvoll, sich zu überlegen, welche Anpassungsleistung der Hund erbringen muß, sich in ein “Rudel” einzuordnen, das von allem, was wirklich interessant ist, so relativ wenig aufnimmt und versteht.
A4. Tastsinn
Auch der Tastsinn des Hundes, besonders in der Nasenregion und den Pfoten, ist sehr ausdifferenziert und er nutzt ihn auch häufiger als wir den unseren.
A5. Nervenbahnen und Gehirn
Als letztes nenne ich noch die Vergleichsdaten für Gehirn und Rückenmark: beim Menschen ist das Verhältnis zwischen dem Hirngewicht und Rückenmarksgewicht 48:1, beim Hund 5:1, und das Verhältnis Gehirngewicht zu Gesamtkörpergewicht ist beim Menschen ungefähr 1:52 und beim Hund 1:235.
Ohne im Einzelnen auf die Frage einzugehen, ob der Hund denkt oder nur Verknüpfungen lernt, können wir feststellen, daß der Vergleich hier einmal zu unseren Gunsten ausfällt – das bedeutet aber auch für uns die Verpflichtung, unsere Möglichkeiten zum Nachdenken zu nützen und herauszufinden, wie wir uns dem Hund bestmöglich verständlich machen können.
Zusammenfassung
Fassen wir die wichtigsten besprochenen Eigenschaften zusammen: in unserem Hund haben wir ein Gegenüber, das außerordentlich genau auf Bewegungen reagiert, hervorragend hört, und in einer fein ausdifferenzierten Geruchswelt lebt, von der wir fast nichts mitbekommen. Als erste Folgerungen für unseren Umgang mit diesem Gegenüber ergibt sich:
- Wir sollten sehr genau kontrollieren, was wir an Bewegungen zeigen, wenn wir mit dem Hund Kontakt aufnehmen, und versuchen, eine eindeutige Verständigung über die Körpersprache zu erreichen.Insbesondere sollten wir vermeiden, ihn über unsere Körpersprache zu verwirren.
- Es ist ziemlich albern, ein Wesen, das um ein Vielfaches besser hört als wir, anzubrüllen, dafür ist es sehr sinnvoll, klar unterscheidbare stimmliche Signale zu geben (also für Lob, Aufforderungen, Verbote).
- Wenn wir die Bedürfnisse des Hundes mißachten, die sich daraus ergeben, daß er in einer ganz wesentlich vom Geruch bestimmten Welt lebt, so ist das, als ob wir mit einer schwarzen Brille herumlaufen müßten, die vielleicht gerade noch einen kleinen Schlitz offen läßt, und wir immer, wenn wir etwas interessant erscheinendes ins Auge fassen wollen, weitergezerrt werden, ehe wir es auch nur richtig identifiziert haben. (Bei den meisten von uns würde sich wohl eine reaktive Depression einstellen.)
Sich die Grundlage der Verständigung von den Sinnesleistungen des Hundes her zu vergegenwärtigen ist eine elementare Notwendigkeit und hat uns nun schon einige wichtige Hinweise gebracht. Viel wesentlicher ist aber etwas anderes. Warum wurde ausgerechnet der Hund das älteste Haustier der Menschen?
B. Soziale Veranlagung des Hundes
Sein Stammvater Wolf ist die früher am weitesten verbreitete Wildtierart unter den Landsäugetieren: es gab ihn in ganz Eurasien (mit Ausnahme der tropischen Gebiete) sowie in Nordamerika. Die Haustierwerdung erstreckte sich über einen langen Zeitraum: Funde aus der mittleren Jungsteinzeit zeigen, daß schon damals unmittelbar in der Umgebung eiszeitlicher Jäger gezähmte Wölfe gelebt haben müssen, die gelegentlich auch Junge bekommen haben. Häufiger muß es sich um Tiere gehandelt haben, die im Alter von wenigen Wochen zu den Wohnplätzen gebracht worden sind (Beides läßt sich an bestimmten Zahnanomalien nachweisen).
Hinweise auf Haushunde finden sich dann erst in Funden aus der Zeit zwischen 13000 – 7000 vor Christus. D. h. es gibt aus diesem Zeitraum Knochenfunde, die morphologisch bereits eindeutig von Hunden und nicht von wild lebenden oder gezähmten Wölfen stammen. Im Einzelnen braucht uns das hier gar nicht zu interessieren, nur dachte ich, Sie könnten vielleicht ebenso wie ich die Vorstellung beeindruckend finden, daß wir Menschen seit 12 bis 15.000 Jahren von Hunden begleitet werden.
Was dem Hund dieses Schicksal bescherte war seine soziale Veranlagung, die es ihm ermöglichte, sich in die Verbände, die der Mensch im Zusammenleben bildet, einzufügen. Anders ausgedrückt: so verschieden Mensch und Hund von ihren Sinnesleistungen und vielen Bedürfnissen her sind, so ähnlich ist in gewisser Weise die in ihnen angelegte Sozialstruktur.
Wölfe bilden Rudel, die nach innen einen festen Zusammenhalt aufweisen, und in denen die einzelnen Mitglieder ihre klar umrissene Position haben. Meist besteht ein solches Rudel aus Vater und Mutter, einigen “Onkeln” und “Tanten”, die von diesem Paar abstammen, und einem Wurf von jüngeren Geschwistern. Als durchschnittliche Größe eines Rudels habe ich bei David Mech, einem der besten Wolfskenner, die Zahl 7 gefunden – mit dem Hinweis, daß es einigermaßen große Schwankungen gibt. Stellvertretend für viele Veröffentlichungen über das soziale Leben im Rudel zitiere ich aus dem Buch von Candace Savage:
“Das tragende Element einer Wolfsgemeinschaft ist insbesondere die Liebenswürdigkeit der Tiere. …Ausschlaggebend für die meist ausgeglichene Atmosphäre innerhalb eines Wolfsrudels ist eine einwandfrei funktionierende Kommunikation zwischen den Tieren. Wölfe verfügen wie Menschen über eine ausdrucksvolle Gesichtsmimik. Daher kann ein Tier durch subtiles Mienenspiel mit Stirn, Mund, Augen und Ohren ganz genau vermitteln, wie es sich fühlt, und seine Artgenossen können entsprechend reagieren.”
Diesen Beobachtungen können wir sehr deutlich entnehmen, daß Rudelbildung etwas gründlich anderes als eine Hackordnung ist, vielmehr einer kooperativ zusammenarbeitenden Familie ähnelt. Zwar gibt es vor allem in der Fortpflanzungszeit auch Rangkämpfe, wichtiger ist jedoch der wechselseitige Respekt und Zusammenhalt, in welchem jeder seinen Teil der Aufgaben im Rudel erfüllt. Die Alpha-Tiere des Rudels (meist wie gesagt Vater und Mutter der jüngeren) zeigen – übereinstimmend von vielen Beobachtern berichtet – relativ wenige direkte Aggressionen. Dies kommt eher bei den rangniederen und unsicheren Tieren vor. Hallgren formuliert es so: “Derjenige, der am besten seine Ruhe und Würde bewahrt, ist letztendlich der Ranghöchste.”
Hierzu möchte ich noch eine mündliche Mitteilung von Frau Feddersen-Petersen anfügen, nach welcher sogar Wechsel in der Alpha-Position des Rudels z. T. ohne jeden Kampf nur über mimischen und gestischen Austausch zustande kommen können. D.h. also unsere Hunde bringen eine ausgeprägte Veranlagung zur sozialen Bindung und Einordnung mit und damit untrennbar verbunden ein differenziertes Ausdrucksverhalten, mit welchem die Probleme des Zusammenlebens geregelt werden können und “Ernstkämpfe” weitgehend vermieden werden.
Für uns folgt daraus:
Unsere Hunde brauchen, um sich sicher zu fühlen, ihre klar definierte Position im Rudel bzw. in ihrer Familie mit den dazugehörigen Aufgaben und Rechten, und wir können ihretwegen Hunden auch um so eher eine solche dem Rudel entsprechende Gemeinschaft voller wechselseitiger Zuverlässigkeit und wechselseitigem Vertrauen in einem reibungslosen Miteinander bilden, je besser auch bei uns die wechselseitige Verständigung funktioniert, d. h. je genauer wir das Ausdrucksverhalten unserer Hunde verstehen und je klarer für unsere Hunde unser Ausdrucksverhalten verständlich ist.
Dazu müssen wir uns näher zunächst weiter mit dem sozialen Verhalten der Hunde untereinander befassen und mit welchen Formen des Ausdrucks sie es regeln. Diese können wir heute nur grob – klassifizierend unterscheiden – wenn Interesse besteht, will ich gerne versuchen, ausführliches Bild- und Filmmaterial für ein gründliches Anschauen und Vergleichen einzelner mimischer und gestischer Abläufe zusammenzustellen. Heute geht es uns ja mehr um die grundsätzlichen Zusammenhänge.
Für unseren heutigen Zweck genügt die Einteilung in 4 Klassen von Verhaltensabläufen:
- Verhaltensabläufe, in denen positive Zuwendung ausgedrückt wird und direkter Körperkontakt mit enthalten ist. Beispiele sind: Spiele zwischen Hunden, besonders hinreißend zu beobachten bei Junghunden und Welpen, beim mütterlichen Pflegeverhalten, beim sexuellen Kontakt, beim Kontaktliegen u.s.w.
- Kommunikation zwischen Hunden ohne Körperkontakt, die aber freundlich oder neutral abläuft. Wir können das bei distanzierten Begegnungen von älteren Hunden beobachten, aber auch bei der Kooperation von Hunden beim Jagen – sie müssen sich dafür nicht einmal kennen. Auch Spielaufforderungen eines Hundes, auf die der andere nicht eingeht und das z. T. durch Abwenden zeigt, gehören hierher.
- Kommunikation ohne Körperkontakt mit aversiven Elementen. Beispiele dafür sind das Verteidigen des Futters gegen einen anderen Hund oder Signale, mit denen die vom Hund gewünschte Distanz zum anderen aufrecht erhalten wird. Das kann zwischen einander fremden Hunden ablaufen, aber auch zwischen bekannten, etwa wenn ein Junghund einem älteren gegenüber über Gebühr zudringlich wird oder sonst etwas. Die Mittel, die ein Hund dafür einsetzt, sind:· Lefzen hochziehen oder Knurren
· Lefzen hochziehen und Knurren
· Lefzen hochziehen, Knurren und
· Abschnappen. - Kommunikation mit Körperkontakt mit aversiven Elementen, d.h. Ernstkampf
Was die Häufigkeit der einzelnen Verhaltensweisen angeht, haben wir zuvor schon gehört, daß die hervorstechende Eigenschaft, die von Beobachtern von Wolfsrudeln übereinstimmend berichtet wird, den friedlichen Umgang untereinander betrifft. D. h. die vierte Verhaltenskategorie ist die relativ sehr selten gezeigte. Meist genügt auch bei Konflikten die Kategorie 3 und als wesentlich für den Zusammenhalt des Rudels müssen wir die hohe Häufigkeit der konfliktfreien Verständigung ansehen.
C. Folgerungen für den Umgang mit dem Hund
Daraus ergeben sich nun gleich eine ganze Menge Folgerungen, wenn wir artgerecht mit unserem Hund umgehen wollen, d. h. so wie es seinen Anlagen entspricht:
- Positiv getönte Formen des Umgangs sollten auf jeden Fall die negativen weit überwiegen. (Wenn man darüber ein bißchen nachdenkt, kommt einem der schlimme Verdacht, daß wir oft sehr viel phantasievoller im Ausdenken von Strafen sind als von Belohnungen).
- Berührungen des Hundes sollten – außer wenn wir glauben in einem Ernstkampf um Rang oder Leben verwickelt zu sein, und dann ist im Vorfeld einiges schief gelaufen – möglichst ausschließlich im Rahmen positiver Interaktion ablaufen.
- Wollen wir unserem Hund Grenzen aufzeigen bzw. auf den von uns gesetzten Spielregeln des Verhaltens bestehen, so sollten wir gleichzeitig auch seine Spielregeln was die Verständigung angeht berücksichtigen. D. h. wir sollten etwas finden, was der in der Intensität wachsenden Drohlinie entspricht. Gehen wir den Hund ohne diese Vorwarnungen direkt an, so zeigen wir ein Verhalten, das für ihn zum Ernstkampf gehört. Und leider tun wir das sehr oft, überwiegend – wie ich annehme – nicht, weil wir dem Hund Schmerzen zufügen oder ihn bewußt quälen wollen, sondern aus Hundeausbildungs-traditionen heraus, die zu Zeiten entstanden, in denen es kaum zuverlässige Beobachtungen des Wildtieres Wolf gab und in denen das Haustier Hund als ein dem Menschen ausgelieferter Untertan, nicht als Mitgeschöpf mit eigenen auch zu respektierenden Bedingungen angesehen wurde.
Schauen wir uns einige Beispiele an, wo wir die hundlichen Regeln der schrittweisen Vorwarnungen, wie man sich an den Kragen geht, mißachten. Nackenschütteln und Leinenruck – beides für den Hund Elemente aus dem “Ernstkampf” – kommen oft aus der irrigen Annahme, dies sei die typische mütterliche Bestrafungsart durch die Hundemutter. Hier hat jeder von uns Sünden wider das anständige Verhalten, wie es im Hund angelegt ist, auf sich geladen. Fast jeder von uns hat ja das alles auch so schon gesagt bekommen – mit der Voraussetzung, so müsse es sein, damit der Hund etwas lernt. Und er lernt dabei auch etwas: nämlich bestimmte Verhaltensweisen ausführen aus Angst vor Schmerz – er lernt, daß Herrchen oder Frauchen manchmal unberechenbar und ohne für ihn einsehbaren Grund grob ist, was naturgemäß Unbehagen mit sich bringt. Wenn der Hund besonders geduldig ist, zeigt er daraufhin sogar einige einschmeichelnde Verhaltensweisen – sie stammen aus dem Umkreis derBeschwichtigungsgesten, Vertrauen drücken sie nicht aus.
Er lernt jedenfalls nicht in Kooperation mit seinem Führer. Wenn dieser sich sonst einigermaßen gut ihm gegenüber benimmt, sind die meisten Hunde ja auch bereit, uns ziemlich viel zu verzeihen. Nur bitte denken Sie zurück an die Gehirnleistungen – es ist ein bißchen peinlich, ausgerechnet da auf die besondere Gutmütigkeit des Hundes und seine Bindungsfähigkeit angewiesen zu sein, wo wir dank unserer Intelligenz eigentlich etwas mehr zur Verständigung beitragen könnten.
Wie werden wir nun also statt dessen die ruhigen, gelassenen und freundlichen Alpha-Tiere, wie wir sie uns als typisch für Wolfsrudel gerade vor Augen gehalten haben, die ohne großen Aufwand mit Blicken und Bewegungen die Ordnung in ihrem Rudel aufrechterhalten?
- Wir brauchen die entsprechende Grundhaltung (Frau Feltmann spricht von wohlwollender Konsequenz, Hallgren von freundlicher Dominanz).
- Wir brauchen eine Ausdrucksweise, die der hundlichen Verständigung untereinander so nahe kommt, daß unser Hund etwas mit ihr anfangen kann. D. h. wir brauchen Formen des Lobes, der Zuneigung, Anerkennung und Aufforderung, die für den Hund möglichst unmittelbar verständlich und zuverlässig wiedererkennbar sind. (Die bei uns beliebte Aufforderung “Komm – mach endlich Platz” erfüllt z. B. diese Anforderung nicht.)
- Wir müssen wissen, was wir wirklich von unserem Hund wollen, d. h. welche Spielregeln er einhalten soll – ich erinnere: mitten im Spiel die Regeln einseitig und willkürlich zu ändern gilt unter Menschen als unfair.
Gehen wir zunächst dem nach, was wir wollen, das der Hund tut. Schauen wir uns einmal das Verhaltensrepertoire unseres Hundes an: eine ganze Menge von dem, was wir von ihm wollen, tut er sowieso – er sitzt, liegt, steht, läuft, alles freiwillig und mit Begeisterung. Hier geht es also nur darum, ihn dazu zu bringen, das auch dann zu tun, wenn wir es gerade wollen (bzw. es auch zu unterlassen, wenn es in der menschlichen Gesellschaft, in der er gerade ist, zu unangemessenen Störungen führen würde).
Dann gibt es Verhaltensmuster, die er angeborenerweise allzu gern ausleben würde, die wir aber auf keinen Fall wünschen (z. B. Jagen, Fressen von Dingen, die uns ungeeignet erscheinen, Raufen), d. h. wir müssen ihn dazu bringen, sie zu unterlassen – und wir müssen ihm anständigerweise irgend etwas als Ersatz dafür bieten.
Und schließlich gibt es noch Forderungen, auf die ein Hund nie von allein käme, die wir aber wollen, z. B. Fuß laufen oder längere Zeit allein bleiben.
Stellen wir auf die andere Seite unsere Mittel:
- Wir können erwünschtes Verhalten verstärken, wenn es sowieso auftritt, mit Stimme, freundlichen Berührungen, Leckerbissen und Spielen aller Art.
- Wir können erwünschtes Verhalten dadurch hervorlocken, daß wir etwas tun, was den Hund entsprechend unseren Zielen animiert (z. B. wenn wir ihn durch schnelles Laufen ermuntern, uns zu folgen) und dann wie oben verfahren.
- Wir können ausnützen, daß der Hund ein Gewohnheitstier ist, indem wir das, was uns wichtig ist, immer wieder gleichförmig durchführen und dadurch “Rituale” begründen (z. B. wenn wir ihn bei der Vorbereitung des Fressens vor der offenen Küchentür sitzen lassen, werden wir bald erleben, wie er um die entsprechende Uhrzeit kommt und sich zuversichtlich an diese Stelle setzt).
- Wir können unerwünschtes Verhalten unterbinden, indem wir Alternativen aus dem Verhaltensrepertoire aktivieren, z. B. wenn wir unseren Hund mit einem Ballspiel vom Auftauchen seines “Todfeindes” oder eines hochinteressanten Joggers ablenken oder wenn wir mit dem jungen Hund auf einer Wildspur Apportierspiele aufbauen, die wir mit nachhaltigen Belohnungen verbinden.
- Schließlich können wir unerwünschtes Verhalten auch durch eine sich steigernde Reihe von Reaktionen (entsprechend 2.3) verhindern, nämlich die Stimme schärfer werden lassen (“Knurren”) und in ein drohendes Erstarren verfallen. Wir haben notfalls die Möglichkeit zu schrittweise genau kalkulierten negativen Berührungen, nachdem wir mehrfach vorgewarnt haben.:“Schnauzengriff” und “Leviten lesen”.
Wenn wir das bisher Gesagte genau beachtet haben, werden wir entdecken, daß die Notwendigkeit solcher unfreundlichen Auseinandersetzungen sich ebenso verringert, wie es uns die meisten Wolfsforscher aus ihren Beobachtungen berichten.
Im Einzelnen werden wir unsere Mittel zur Verständigung mit unserem Hund in immer neuen Kombinationen überlegen müssen und dann nach den jetzt zusammengestellten Gesichtspunkten durchführen. Das klingt vielleicht kompliziert, ist es aber nicht, sobald wir uns daran gewöhnt haben, diese für das hundliche Verhalten wichtigsten Grundbedingungen selbstverständlich einzubeziehen und dadurch dann die Freude einer wirklich freundschaftlichen Wechselbeziehung zwischen uns und unseren Hunden zu erleben.
Hunde-Rudel, Verein für artgemäße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen