C. Folgerungen für den Umgang mit dem Hund
Daraus ergeben sich nun gleich eine ganze Menge Folgerungen, wenn wir artgerecht mit unserem Hund umgehen wollen, das heißt sowie es seinen Anlagen entspricht:
- Positiv getönte Formen des Umgangs sollten auf jeden Fall die negativen weit überwiegen (wenn man darüber ein wenig nachdenkt, kommt einem der schlimme Verdacht, dass wir oft sehr viel fantasievoller im Ausdenken von Strafen sind als von Belohnungen).
- Berührungen des Hundes sollten – außer, wenn wir glauben in einem Ernstkampf um Rang oder Leben verwickelt zu sein, und dann ist im Vorfeld einiges schiefgelaufen – möglichst ausschließlich im Rahmen positiver Interaktion ablaufen.
- Wollen wir unserem Hund Grenzen aufzeigen beziehungsweise auf den von uns gesetzten Spielregeln des Verhaltens bestehen, so sollten wir gleichzeitig auch seine Spielregeln, was die Verständigung angeht, berücksichtigen. Das heißt, wir sollten etwas finden, was der in der Intensität wachsenden Drohlinie entspricht. Gehen wir den Hund ohne diese Vorwarnungen direkt an, so zeigen wir ein Verhalten, das für ihn zum Ernstkampf gehört. Und leider tun wir das sehr oft, überwiegend – wie ich annehme – nicht, weil wir dem Hund Schmerzen zufügen oder ihn bewusst quälen wollen, sondern aus Hundeausbildungstraditionen heraus, die zu Zeiten entstanden, in denen es kaum zuverlässige Beobachtungen des Wildtieres Wolf gab und in denen das Haustier Hund als ein dem Menschen ausgelieferter Untertan, nicht als Mitgeschöpf mit eigenen auch zu respektierenden Bedingungen angesehen wurde.
Schauen wir uns einige Beispiele an, wo wir die hundlichen Regeln der schrittweisen Vorwarnungen, wie man sich an den Kragen geht, missachten. Nackenschütteln und Leinenruck – beides für den Hund Elemente aus dem “Ernstkampf” – kommen oft aus der irrigen Annahme, dies sei die typische mütterliche Bestrafungsart durch die Hundemutter. Hier hat jeder von uns Sünden wider das anständige Verhalten, wie es im Hund angelegt ist, auf sich geladen. Fast jeder von uns hat ja das alles auch so schon gesagt bekommen – mit der Voraussetzung, so müsse es sein, damit der Hund etwas lernt. Und er lernt dabei auch etwas: nämlich bestimmte Verhaltensweisen ausführen aus Angst vor Schmerz – er lernt, dass Herrchen oder Frauchen manchmal unberechenbar und ohne für ihn einsehbaren Grund grob ist, was naturgemäß Unbehagen mit sich bringt. Wenn der Hund besonders geduldig ist, zeigt er daraufhin sogar einige einschmeichelnde Verhaltensweisen – sie stammen aus dem Umkreis der Beschwichtigungsgesten, Vertrauen drücken sie nicht aus.
Er lernt jedenfalls nicht in Kooperation mit seinem Führer. Wenn dieser sich sonst einigermaßen gut ihm gegenüber benimmt, sind die meisten Hunde ja auch bereit, uns ziemlich viel zu verzeihen. Nur bitte denken Sie zurück an die Gehirnleistungen – es ist ein wenig peinlich, ausgerechnet da auf die besondere Gutmütigkeit des Hundes und seine Bindungsfähigkeit angewiesen zu sein, wo wir dank unserer Intelligenz eigentlich etwas mehr zur Verständigung beitragen könnten.
Wie werden wir nun also stattdessen die ruhigen, gelassenen und freundlichen Alpha-Tiere, wie wir sie uns als typisch für Wolfsrudel gerade vor Augen gehalten haben, die ohne großen Aufwand mit Blicken und Bewegungen die Ordnung in ihrem Rudel aufrechterhalten?
- Wir brauchen die entsprechende Grundhaltung (Frau Feltmann spricht von wohlwollender Konsequenz, Hallgren von freundlicher Dominanz).
- Wir brauchen eine Ausdrucksweise, die der hundlichen Verständigung untereinander so nahe kommt, dass unser Hund etwas mit ihr anfangen kann. Das heißt, wir brauchen Formen des Lobes, der Zuneigung, Anerkennung und Aufforderung, die für den Hund möglichst unmittelbar verständlich und zuverlässig wiedererkennbar sind (die bei uns beliebte Aufforderung “Komm – mach endlich Platz” erfüllt beispielsweise diese Anforderung nicht.)
- Wir müssen wissen, was wir wirklich von unserem Hund wollen, das heißt, welche Spielregeln er einhalten soll – ich erinnere: mitten im Spiel, die Regeln einseitig und willkürlich zu ändern, gilt unter Menschen als unfair.
Gehen wir zunächst dem nach, was wir wollen, dass der Hund tut. Schauen wir uns einmal das Verhaltensrepertoire unseres Hundes an: eine ganze Menge von dem, was wir von ihm wollen, tut er ohnehin – er sitzt, liegt, steht, läuft, alles freiwillig und mit Begeisterung. Hier geht es also nur darum, ihn dazu zu bringen, das auch dann zu tun, wenn wir es gerade wollen (bzw. es auch zu unterlassen, wenn es in der menschlichen Gesellschaft, in der er gerade ist, zu unangemessenen Störungen führen würde).
Dann gibt es Verhaltensmuster, die er angeborener Weise allzu gern ausleben würde, die wir aber auf keinen Fall wünschen (z. B. Jagen, Fressen von Dingen, die uns ungeeignet erscheinen, Raufen), das heißt, wir müssen ihn dazu bringen, sie zu unterlassen – und wir müssen ihm anständigerweise irgendetwas als Ersatz dafür bieten.
Und schließlich gibt es noch Forderungen, auf die ein Hund nie von allein käme, die wir aber wollen, zum Beispiel Fuß laufen oder längere Zeit allein bleiben.
Stellen wir auf die andere Seite unsere Mittel:
- Wir können erwünschtes Verhalten verstärken, wenn es ohnehin auftritt, mit Stimme, freundlichen Berührungen, Leckerbissen und Spielen aller Art.
- Wir können erwünschtes Verhalten dadurch hervorlocken, dass wir etwas tun, was den Hund entsprechend unseren Zielen animiert (z. B. wenn wir ihn durch schnelles Laufen ermuntern, uns zu folgen) und dann wie oben verfahren.
- Wir können ausnützen, dass der Hund ein Gewohnheitstier ist, indem wir das, was uns wichtig ist, immer wieder gleichförmig durchführen und dadurch “Rituale” begründen (z. B. wenn wir ihn bei der Vorbereitung des Fressens vor der offenen Küchentür sitzen lassen, werden wir bald erleben, wie er um die entsprechende Uhrzeit kommt und sich zuversichtlich an diese Stelle setzt).
- Wir können unerwünschtes Verhalten unterbinden, indem wir Alternativen aus dem Verhaltensrepertoire aktivieren, beispielsweise wenn wir unseren Hund mit einem Ballspiel vom Auftauchen seines “Todfeindes” oder eines hochinteressanten Joggers ablenken oder wenn wir mit dem jungen Hund auf einer Wildspur Aborttierspiele aufbauen, die wir mit nachhaltigen Belohnungen verbinden.
- Schließlich können wir unerwünschtes Verhalten auch durch eine sich steigernde Reihe von Reaktionen (entsprechend 2.3) verhindern, nämlich die Stimme schärfer werden lassen (“Knurren”) und in ein drohendes Erstarren verfallen. Wir haben notfalls die Möglichkeit zu schrittweise genau kalkulierten negativen Berührungen, nachdem wir mehrfach vorgewarnt haben.: “Schnauzengriff” und “Leviten lesen”.
Wenn wir das bisher Gesagte genau beachtet haben, werden wir entdecken, dass die Notwendigkeit solcher unfreundlichen Auseinandersetzungen sich ebenso verringert, wie es uns die meisten Wolfsforscher aus ihren Beobachtungen berichten.
Im Einzelnen werden wir unsere Mittel zur Verständigung mit unserem Hund in immer neuen Kombinationen überlegen müssen und dann nach den jetzt zusammengestellten Gesichtspunkten durchführen. Das klingt vielleicht kompliziert, ist es aber nicht, sobald wir uns daran gewöhnt haben, diese für das hundliche Verhalten wichtigsten Grundbedingungen selbstverständlich einzubeziehen und dadurch dann die Freude einer wirklich freundschaftlichen Wechselbeziehung zwischen uns und unseren Hunden zu erleben.
Hunde-Rudel, Verein für artgemäße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen