Der Hund im Wolfspelz

Eine Auseinandersetzung mit den Forschungsarbeiten
von E. Ziemen, Dr. D. Feddersen-Petersen, E. Trumler und K. Lorenz

Der Hund, der beste Freund des Menschen – aber wie kam es überhaupt dazu?

Bei der Suche nach der Beantwortung dieser Frage hat uns in der jüngeren Gegenwart die unglaubliche Erscheinungsvielfalt der Hunde eine Weile in Zweifel gestürzt, ob überhaupt nur EIN wilder Vorfahr der Urahn unserer Hunde gewesen sein kann. Doch aufgrund heutiger wissenschaftlicher Möglichkeiten, u.a. in der Genforschung, ist nun einwandfrei nachgewiesen, dass der Wolf der alleinige Urahn unserer Hunde ist.

Um zu verstehen, wie der Hund und der Mensch sich während der evolutionären Entwicklung immer näher gekommen sind, müssen wir uns ansehen, wie die Menschen und die Wölfe vor ca. 25.000 bis 20.000 Jahren gelebt haben.

Mit der maximalen Ausdehnung des Eises der letzten Eiszeit vor ca. 25. bis 20.000 Jahren starben viele der riesigen Säugetierarten wie z.B. das Mammut, Wollnashorn oder der Riesenhirsch aus. Einige der kleineren Arten wie Rentier, Pferd oder Saiga – Antilope gelang es, sich in für sie günstigere Regionen zurück zu ziehen. Entsprechend gab es auch bei den großen und riesigen Fleischfressern einen gehörigen Rückgang. Am Ende blieben nur noch die beiden anpassungsfähigsten übrig – Mensch und Wolf.

Durch diese Unspezialisiertheit zeigte der Wolf auch die größte innerartliche Variabilität aller Säugetierarten. Wiegt der auf der arabischen Halbinsel lebende Wolf (die kleinste Wolfunterart) kaum 20 kg, so erreichen große Exemplare in Alaska und Sibirien ein Gewicht von 70 bis 80 kg. Und während diese Wölfe fast komplett grau sind, sind andere in wärmeren Gebieten der Erde fast rot, in anderen Gebieten wiederum tief schwarz und woanders wieder völlig weiß. Die einen töten Elche, die bis zu 15 mal größer sein können als sie selbst und andere leben nur von Kleinsäugern und Insekten.

Es gibt und gab auch Wölfe, die sich, und das ist wohl der erste aller zukünftigen Schritte in Richtung „Zusammenleben“ der Wölfe und der Menschen gewesen, von den Abfällen des Menschen ernährten. So wurde die Grundvoraussetzung geschaffen, die überhaupt erst die Domestikation des Wolfes möglich machte. Denn dadurch vermehrten sich nur die Tiere untereinander, die eine sehr geringe Fluchtdistanz hatten.

Domestikation bedeutet die genetische Isolation der Tiere im Hausstand von ihren wilden Artgenossen. Da man damals weder Zäune noch Ketten kannte, ist dies ein Indikator dafür, dass die Wölfe freiwillig die Nähe des Menschen suchten.

Der Wolf war damals wie heute ein sehr scheues Tier. Doch es gab und gibt teilweise erhebliche Unterschiede bezüglich der Fluchtdistanz des Wolfes. Während die einen also am Abfall der Menschen satt wurden, flohen die anderen so früh im Falle einer Störung, dass sie dort niemals satt werden konnten. Letztere mussten sich auf die ursprünglichen Nahrungsquellen verlassen und in größerer Entfernung zum Menschen selbst jagen. Die, die sich aber am Müll satt fressen konnten, vermehrten sich dort erfolgreich und blieben in der Nähe. Es paarten sich also völlig natürlich die Exemplare der Wölfe, die eine genetisch fixierte, geringere Fluchtdistanz hatten.

Heute weiß man, dass es nicht möglich ist einen wilden Wolf zu zähmen, um ihn dann zu irgendwelchen Aufgaben nötigen zu können. Das Maximum an „Erziehung“ ist, ihn an einer Leine zu führen und die ihm vertrauten Menschen zu akzeptieren, doch mehr wird man selbst bei größten Bemühungen nicht schaffen. Kein Wolf, ich spreche hier übrigens von Wölfen, die mit der Hand aufgezogen wurden, also von klein an den Menschen kennen und in den wichtigen Prägephasen schon mit ihm zusammen waren, wird jemals mehr tun als oben erwähnt. Ein Wolf, der später mit Menschen konfrontiert wird, d.h. nach der 3. Lebenswoche, wird mit größter Wahrscheinlichkeit nie „zahm“ werden. Und selbst wenn man den Wolf vor der 3. Lebenswoche beginnt von Hand aufzuziehen wird längst nicht jeder Wolf zutraulich.

Es gibt kaum ein Raubtier, welches nicht im Zirkus mit irgendwelchen Kunststückchen zur Schau gestellt wird – bis auf den Wolf. Die gängige Theorie, dass Männer Wolfswelpen von der Jagd mitgebracht haben ist also allein deswegen schon absurd, denn die Welpen hätten schon vor der 3. Lebenswoche mitgebracht haben müssen. Zu diesem Zeitpunkt ist ein Welpe aber noch auf Milch angewiesen.

Vor ca. 20.000 Jahren gab es aber noch keine anderen Haustiere. Da der Hauswolf also das erste Haustier des Menschen war, stand auch noch keine Milch von Ziegen oder Rindern zur Verfügung. Aber einmal abgesehen von dem Ernährungsproblem, hätten die Menschen damals mit den adulten Wölfen nichts mehr anfangen können. Als Wachhund taugten sie nicht, weil Wölfe nicht bellen. Der Wolf lässt sich auch nicht ausbilden, was macht das ganze also für einen Sinn?

Domestikationstheorien
Welches Motiv es nun auch immer für eine erste „Verwendung“ gegeben zu haben scheint, es ist wohl so, dass wir die Vorstellung aufgeben müssen, der Mensch habe den Wolf bewusst und zukunftsorientiert gezähmt. Die vielen Vorzüge und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten der späteren Hunde waren am Verhalten der ersten „Hauswölfe“ kaum zu erkennen. Für ihre Aufnahme in die menschliche Gesellschaft müssen andere Gründe vorliegen. Deshalb sollen die nachfolgenden Theorien auch nur eine Abhandlung der gängigsten Irrtümer sein.

  1. Domestikation als Folge von Canophagie (der Verzehr von Hunden). Der Wolf wurde also gehalten um verzehrt zu werden. Der Hauswolf als Nahrungsreserve? Ist schwer vorstellbar, weil der Wolf sich, wie gesagt, auch von Fleisch ernährt. Warum aber sollte ein Tier für den Verzehr gehalten werden, dessen Futter die gleiche, teure Nahrung war, die selbst benötigt wurde.
  2. Domestikation des „Wärmekissens“. Dienten die ersten zahmen Wölfe in kalten Nächten als Wärmekissen? Auf die Idee sind australische Forscher gekommen, die die Beziehung zwischen Aborigines und dem Dingo untersuchen. Da in Australien extreme Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht herrschen, zähmen Aborigines junge Dingos, um sich Nachts an ihnen zu wärmen. Allerdings müssen sie nach ca. 2 Jahren auf ihr lebendes Wärmekissen wieder verzichten, denn dann ist es in der Regel so, dass der Freiheitsdrang, der diesen ursprünglichsten Hunden innewohnt, so groß ist, dass sie fortlaufen und nicht wieder zurückkehren. Also müssen sich die australischen Ureinwohner ca. alle zwei Jahre neue Dingowelpen einfangen. Wir werden später noch zum Thema Individualdistanz der Wölfe kommen.
  3. Domestikation eines Transportmittels. Zuletzt möchte ich noch eine abenteuerliche, aber durchaus existente, Annahme zur Domestikation erörtern. Ein kanadischer Anthropologe, der die Geschichte der Chipwey-Indianer untersuchte, kam zu dem Schluss, dass den Männern dieses Stammes ein entscheidender technologischer Durchbruch gelang, als sie erkannten, dass sich Wölfe viel besser vor einen Schlitten spannen ließen als Frauen. Also – Domestikation und Zivilisation infolge männlicher Einsicht in die Unzulänglichkeiten der Frau? Eine zutiefst deprimierende Vorstellung!
  4. Natürlich, wie an vielen Stellen der Geschichte sieht man den Mann als Initiator der Domestikation und des Aufbruchs in ein neues Zeitalter. Wenn man aber genau hinschaut und die jeweiligen Lebensbedingungen der damaligen Menschen und die der Wölfe betrachtet, so fällt zunächst auf, dass sie erbitterte Nahrungs- und Lebensraumkonkurrenten waren. Sie jagten die gleiche Beute, sie waren gleichfalls auf ein Revier angewiesen, in dem sie ihre Jungen aufziehen konnten, beide lebten sie zeitweise in Höhlen und sie hatten ein soziales Lebensmodel.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Menschen dieser Zeit von ihrem Verhalten her eher Tiere waren. Das heißt, keiner dieser Menschen hätte bei einer Begegnung mit Ihnen oder mir gezögert sofort zuzuschlagen, um uns zu töten. Es waren primitive Lebewesen, die genauso um ihre Existenz kämpften wie viele andere wilde Tiere zu dieser Zeit. Es gab diesen Luxus nicht Mitleid oder Sympathie haben zu können. Es ist also wirklich recht unwahrscheinlich, dass Mann überhaupt gezögert hätte, einen zufällig entdeckten Wolfwurf sofort zu beseitigen.

Wie kann es also gewesen sein?

Als Nahrungskonkurrenten sind Wolf und Mensch zunächst einmal Feinde. Trotzdem müssen sich die Wölfe, wie gesagt, freiwillig immer mehr dem Menschen angeschlossen haben, und zwar von diesem geduldet.

Vielleicht war es so, dass nicht der Mensch die Jagdfähigkeit des Wolfes zu nutzten verstand, sondern umgekehrt, der Wolf sich dem überlegeneren, menschlichen Jägern anschloss und an dessen Abfällen partizipierte: „Pariawölfe“ der Steinzeit. Geduldet wurden sie, weil sie die Camps und Siedlungen sauber hielten, vielleicht auch, weil man sie tatsächlich im Notfall töten und essen konnte.