Boppard. Wer einen Hund hat, kennt die Situation: Der Vierbeiner hat den Mülleimer geplündert, die Schuhe zerkaut oder ist beim Spaziergang ungehorsam gewesen. Er schaut einen mit gesenktem Kopf, angelegten Ohren, eingeklemmtem Schwanz und großen Augen an. Sofort denkt man als Hundehalter: „Der weiß genau, was er falsch gemacht hat!“. Doch ist das wirklich so? Ist der Hund wirklich fähig, sich seiner Schuld bewusst zu sein, sich zu schämen?
Was ist Scham?
Scham ist eine grundlegende menschliche Emotion. Es setzt voraus, dass man versteht, wie andere einen wahrnehmen, wenn man gegen bestimmte Erwartungen verstoßen hat. Bei Menschen ist Scham eng mit Selbstreflexion und moralischem Bewusstsein verbunden. Selbst soziale Primaten wie Schimpansen, die komplexe Gefühle und soziale Verhaltensweisen zeigen, gibt es keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege dafür, dass sie Scham wie der Mensch empfinden. Entsprechend ist es nicht möglich, dass der Hund sich schämen kann.
Warum macht der Hund Chaos?
Hunde sind neugierige und verspielte Wesen, aber manchmal richten sie Chaos an, indem sie Dinge zerstören oder den Mülleimer plündern. Es gibt verschiedene Gründe, die meist auf ihre Bedürfnisse, Emotionen oder Entwicklungsphasen zurückzuführen sind:
- Langeweile oder überschüssige Energie: Wenn Hunde nicht genug geistige oder körperliche Beschäftigung haben, suchen sie sich selbst eine Aufgabe. Leider kann das dazu führen, dass sie Möbel anknabbern oder Müll durchstöbern.
- Aufmerksamkeitssuche: Manche Hunde merken, dass sie besonders viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie etwas Verbotenes tun, auch wenn es negative Aufmerksamkeit ist.
- Instinkt oder Geruchssinn: Der Mülleimer kann für einen Hund wie eine Schatztruhe riechen! Essensreste oder interessante Gerüche wecken seinen natürlichen Jagd- und Sammelinstinkt.
- Trennungsangst: Wenn Hunde allein gelassen werden, können sie gestresst oder ängstlich sein. Das Zerstören von Gegenständen kann eine Art Ventil für diese Gefühle sein.
- Mangelnde Erziehung: Wenn Hunde nicht lernen, was erlaubt ist und was nicht, neigen sie dazu, ihren Instinkten zu folgen.
Dinge kaputtzumachen oder den Mülleimer zu durchsuchen, ist oft ein Zeichen dafür, dass dem Hund etwas fehlt wie Beschäftigung, Bewegung, Zuwendung oder Sicherheit. Es ist wichtig, die Ursache zu erkennen und dem Hund passende Alternativen sowie ausreichend Auslastung zu bieten und klare Regeln aufzustellen.
Wenn Hunde ständig Dinge zerstören oder destruktives Verhalten zeigen, kann ein Hundetrainer hilfreich sein. Er analysiert die Ursachen des Verhaltens wie Langeweile, Unterforderung, fehlende Impulskontrolle, Trennungsangst oder Frust und entwickelt einen Trainingsplan, um das Verhalten gezielt zu verändern. Wenn Angst oder Unsicherheit eine Rolle spielen, ist professionelle Unterstützung auf jeden Fall sinnvoll, um Lösungen zu finden, um das Wohlbefinden des Hundes zu verbessern.
Versteht der Hund, dass er etwas falsch gemacht hat?
Das ‚schuldbewusste’ Verhalten eines Hundes entsteht meistens nicht durch ein echtes Schuldgefühl, sondern als Reaktion auf die Körpersprache und den Tonfall ihres Menschen. Studien haben gezeigt, dass Hunde diese Signale lesen und instinktiv mit beschwichtigendem Verhalten reagieren. Dazu gehören:
- Eingezogener Schwanz: Ein Zeichen von Unsicherheit und dem Wunsch, sich kleiner zu machen.
- Angelegte Ohren: ebenfalls ein Zeichen von Unterwerfung und Angst.
- Vermeidender Blick: Der Hund versucht, Augenkontakt zu vermeiden, um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen.
- Gähnen oder Zungenlecken: Stresssignale, die zeigen, dass der Hund sich unwohl fühlt.
- Sich klein machen oder wegkriechen: Der Versuch, sich der Situation zu entziehen.
Hunde sind hervorragende Beobachter und lernen durch Assoziation. Sie verknüpfen bestimmte Handlungen mit Konsequenzen, lernen schnell die menschliche Körpersprache und Stimmung zu lesen. Sie verstehen, dass ihr Gegenüber verärgert ist, aber nicht, selbst einen Fehler begangen zu haben. Der Hund passt sich an und sein ‚Schuldverhalten’ ist ein Versuch, den Konflikt zu vermeiden und den Menschen zu beschwichtigen – ein Überbleibsel aus dem Sozialverhalten ihrer Vorfahren, den Wölfen.
Auch wenn es schwerfällt, sich von der Vorstellung eines ‚schuldigen’ Hundes zu verabschieden. Der Mensch neigt dazu, die Emotionen des Hundes zu vermenschlichen (Anthropomorphismus) und überträgt die eigenen Gefühle und Interpretationen auf das Verhalten des Vierbeiners. Nach dem wissenschaftlichen Stand können Hunde keine Scham oder Schuld im menschlichen Sinne empfinden. Ihr Verhalten ist eine Reaktion auf die Stimmung und Körpersprache des Menschen, eine Form der Konfliktvermeidung und Kommunikation mit dem Gegenüber. Es ist wichtig, das Verhalten des Hundes richtig zu deuten, um eine faire und verständnisvolle Beziehung aufzubauen. Statt von einem schlechten Gewissen auszugehen, sollte man sich auf klare Kommunikation und positive Verstärkung konzentrieren, um erwünschtes Verhalten zu fördern und unerwünschtes Verhalten direkt zu unterbrechen. [Stefan Richter]
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