Eine Tierärztin klärt auf
Künstlich hergestelltes Fleisch für Lebensmittel oder Tiernahrung sorgt öffentlich für Diskussionen. Dr. med. vet. Anna Magdalena Naderer, Chief Veterinary Officer des bundesweiten Tierarztpraxisnetzwerks filu, erklärt, worum es dabei geht.
München, Hamburg, Düsseldorf, Köln. Seit Februar ist in Großbritannien erstmals Tierfutter erhältlich, das Laborfleisch enthält. In der EU ist Laborfleisch – auch als In-Vitro-Fleisch oder Clean Meat bekannt – bislang nicht erlaubt, es laufen jedoch Zulassungsverfahren. Da kultiviertes Fleisch in anderen Teilen der Welt sogar schon für den menschlichen Verzehr zugelassen ist, erscheint es wahrscheinlich, dass es künftig auch in Deutschland und der EU erhältlich sein könnte.
In Singapur wird beispielsweise seit 2020 Hühnerfleisch in Restaurants serviert, das aus Zellkulturen im Labor gezüchtet wurde. Auch in Israel und großen Teilen der USA ist Laborfleisch für den menschlichen Verzehr erlaubt. Innerhalb der EU befinden sich aktuell künstlich hergestellte Burger und Gänsestopfleber im Zulassungsverfahren. Zwar gibt es noch keine endgültige Entscheidung der Europäischen Kommission, doch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat bereits 2023 einen 140-seitigen Bericht zu In-Vitro-Fleisch veröffentlicht. Darin wurden auch gesundheitliche Aspekte beleuchtet. So heißt es im Bericht, dass die gesundheitlichen Risiken von kultiviertem Fleisch den bekannten Risiken von Fleisch aus konventioneller Herstellung ähneln dürften. In Bezug auf potenzielle Allergene wird vermutet, dass diese wohl in beiden Fleischarten auftreten können. Glaubwürdige Hinweise darauf, dass Laborfleisch vermehrt Tumore auslösen könnte, soll es nicht geben.
Die Einschätzung, dass sich die Risiken von In-Vitro-Fleisch und echtem Fleisch ähneln, überrascht nicht, weil In-Vitro-Fleisch letztlich auf nicht-künstlichen Tierzellen basiert. Um es herzustellen, wird einem Tier mittels Biopsie eine kleine Menge Muskelfleisch entnommen. Aus den darin enthaltenen Stammzellen werden dann in einer Nährlösung neue Zellen in einem Bioreaktor gezüchtet. Dabei kommen verschiedene Nährlösungen zum Einsatz – darunter fötales Kälberserum, das wegen der hierfür notwendigen Tötung von Föten umstritten ist. Es gibt jedoch pflanzliche Alternativen. Die Zellkulturen vermehren sich in der Nährlösung auf einem Trägergerüst aus (tierischem) Kollagen und bilden schließlich Muskelfleisch, das durch gezüchtete Fettzellen geschmacklich optimiert wird. Da Laborfleisch auf natürlichen Tierzellen basiert, dürften seine gesundheitlichen Risiken mit denen von konventionellem Fleisch vergleichbar sein. Ob es geschmacklich überzeugt, bleibt eine individuelle Entscheidung – sowohl für Menschen als auch Tiere. Da es letztlich eine ethische Frage ist, ob man natürliches und künstliches Fleisch für sich oder sein Haustier in Betracht zieht, ist eine klare Kennzeichnungspflicht essenziell.
Befürworter von Laborfleisch argumentieren mit einer nachhaltigeren Produktion. Tatsächlich kann die Zucht im Labor Ressourcen wie landwirtschaftliche Flächen einsparen. Einige Experten gehen zudem davon aus, dass die Herstellung weniger anfällig für Keime ist als die konventionelle Tierhaltung, die immer wieder gegen Epidemien kämpft. Allerdings ist die Produktion von In-Vitro-Fleisch auch energieintensiv, was seine Umweltbilanz belastet. Letztere hängt auch von der Art des erzeugten Fleisches und dessen CO₂-Intensität in der konventionellen Produktion ab. Entscheidend ist zudem, ob bei der Produktion im Labor erneuerbare Energien genutzt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Künstliches Fleisch könnte eine Chance sein, Massentierhaltung und den damit verbundenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Wenn gesundheitliche Risiken ausgeschlossen sind, könnte es eine interessante Alternative darstellen – sowohl für den Tier- als auch für den Klimaschutz.