Teil 1: Leinenführigkeit von Susanne Reinke

Entspanntes Spazierengehen„Hör auf zu zie­hen!“, „Bleib hier!“, „Halt, Stopp, mach mal lang­sam!“, „Nicht dahin, hier geht’s lang!“ – Eigentlich willst du ein­fach nur einen ent­spann­ten Feierabendspaziergang mit dei­nem Vierbeiner machen, wirst aber wie ein mensch­li­cher Anker ein­mal quer durch den Wald gezo­gen? Keine Sorge: Du bist nicht allein – und es gibt eine ganz ein­fa­che Lösung für dein Problem!

Die Antwort ist Fußarbeit – und wenn du jetzt denkst, dass das ohne­hin was für Labradore, Wettbewerbshunde und Perfektionisten ist – du willst schließ­lich Leinenführigkeit, Fußposition und ande­ren Schnickschnack brauchst du nicht – tja, dann hast du falsch gedacht, denn Fußarbeit benö­tigt wirk­lich jeder, der mit sei­nem Hund zusam­men spa­zie­ren gehen möch­te, statt nur der Leinenhalter zu sein.

Der Mythos: Leinenführigkeit ist easy, Fußarbeit ist für Profis
Viele den­ken, dass Leinenführigkeit all­tags­taug­lich, easy, und wirk­lich eines der abso­lu­ten Basics für Hunde ist, wäh­rend Fußarbeit eigent­lich eher die Streberdisziplin ist: für Hunde und Hundebesitzerinnen, die es beson­ders toll machen wol­len, für die Sportlerinnen, Rassehunde und Perfektionistinnen. Sprich, dass Leinenführigkeit viel ein­fa­cher ist als Fußarbeit.

Hier kommt gleich die nächs­te Überraschung: Es funk­tio­niert genau anders­her­um. Fußarbeit ist für dei­nen Hund viel leich­ter zu ver­ste­hen als Leinenführigkeit, und ich zei­ge dir auch gleich, warum:

Warum Fußarbeit für dei­nen Hund leich­ter zu ver­ste­hen ist
Entspanntes SpazierengehenFußarbeit ist klar defi­niert. Dein Hund weiß ganz genau, wo er lau­fen soll: näm­lich an dei­nem Bein. Er erkennt sein Ritual zur Fußarbeit und weiß sofort: „Okay, jetzt geh ich ans Bein, jetzt wird Fußarbeit gemacht“. Du gibst eine ein­deu­ti­ge Struktur vor – Startsignal, Position und Endritual, sodass dein Hund den Rahmen klar ver­steht – vor­her und nach­her darf er schnüf­feln, aber jetzt wird erst mal am Fuß gelau­fen. Dein Hund ver­steht: „Ich bleib jetzt hier, alles ist gut“, und durch unnö­ti­ges Rätselraten ver­mei­dest du auch unnö­ti­ge Probleme.

Fun Fact: Weil die­se Art des Trainings eine ech­te Verbindung zwi­schen Mensch und Hund schafft, kom­men vie­le Hunde, die mit die­sem System Fußarbeit gelernt haben, oft ein­fach so frei­wil­lig und unauf­ge­for­dert in die Fußposition, um ein Stück mit ihrer Besitzerin zusammenzulaufen.

Dazu kommt, dass du die Fußarbeit sys­te­ma­tisch auf­baust. Das heißt, dass dein Fortschritt auch sicht­bar ist. Du unter­schei­dest nicht zwi­schen „kei­ner Fußarbeit“ und „guter Fußarbeit“, son­dern kannst genau sehen, wie vie­le Schritte – wort­wört­lich – ihr euch gemein­sam nach vorn bewegt. So kannst du auch die klei­nen Erfolge – am Fußballplatz vor­bei­ge­kom­men – fei­ern und musst nicht auf den hei­li­gen Gral – Fußarbeit über­all, egal was pas­siert – warten.

Warum Leinenführigkeit so viel schwie­ri­ger ist
Leinenführigkeit klingt so herr­lich sim­pel: „Mein Hund soll ein­fach nicht zie­hen”. Aber was erst mal ein­fach klingt, ist für dei­nen Hund – und auch für dich – viel schwie­ri­ger als du viel­leicht denkst. Lass mich das kurz an einem Beispiel erklä­ren: Denken wir mal ans Giftköder-Training: Letztlich willst du ja „nur“, dass dein Hund nichts vom Boden frisst. Logisch klingt das aller­dings nur für dich. Für dei­nen Hund sieht die Sache ganz anders aus: „Oh, Dönerreste, darf ich das?“, „Hmm, Döner ging nicht, aber hier liegt ein Stück Wurst, das geht sicher“. „Hier liegt schon wie­der was, lecker! Durfte ich die Sachen vor­her nicht fres­sen, weil sie auf dem Bürgersteig lagen? Sind Sachen im Park auto­ma­tisch Futter?“

Das bedeu­tet für dich: Ihr müsst ganz vie­le ver­schie­de­ne Situationen trai­nie­ren, bevor dein Hund ver­steht, dass du mit „nicht fres­sen“ wirk­lich „gar nichts fres­sen“ meinst. Das liegt dar­an, dass Hunde orts­be­zo­gen ler­nen. Sie bezie­hen Orte und Umstände immer mit in ihren Lernprozess ein.

Zurück zur Leinenführigkeit. Es dau­ert sehr viel län­ger, dei­nem Hund den Sinn von Leinenführigkeit (nicht zie­hen) bei­zu­brin­gen, weil er erst alle ande­ren Faktoren aus­schlie­ßen muss. Anstatt direkt zu ver­ste­hen, dass er kor­ri­giert wird, weil er gera­de zieht, gibt es ja  – laut Hundehirn – auch tau­send ande­re Möglichkeiten, war­um er gera­de kor­ri­giert wur­de: „Weil da ein Vogel sitzt? Weil wir auf dem Hundeplatz sind? Ich gera­de einen Keks bekom­men habe? Wir gera­de auf Asphalt lau­fen?“ Die Liste ist end­los, und für dei­nen Hund ist es rich­tig schwie­rig zu ver­ste­hen, dass du eigent­lich nur möch­test, dass er nicht zieht. Eigentlich hat er sich ja gera­de schon rich­tig toll ver­hal­ten, indem er den Vogel nicht gejagt hat, und sei­nen Keks hat er auch rich­tig brav gefut­tert. Das heißt, dein Hund muss gene­ra­li­sie­ren und qua­si nach Gefühl ent­schei­den, wofür er gera­de kor­ri­giert wird.

Dazu kommt, dass wir Menschen meist unter­schied­lich kor­ri­gie­ren, je nach Gemütslage und Tagesform. Frag dich ein­fach am bes­ten selbst: Was ist Ziehen eigent­lich genau? Und schon siehst du: da gibt es rie­sen Unterschiede! Ziehen von den Beinen, leich­tes Ziehen, lang­sa­mes und ste­ti­ges Ziehen, Hängen las­sen, mit rich­tig Hauruck zie­hen … die Liste ist ziem­lich lang. Als wäre das nicht schon kom­pli­ziert genug, kommt dazu, dass unter­schied­li­che Leinen auch unter­schied­li­che Längen haben, sodass der Radius für dei­nen Hund je nach Leine eben­falls vari­iert, sodass er direkt wie­der am Rätselraten ist: „Werde ich gezo­gen, weil gera­de ein ande­rer Hund kommt? Liegt’s an dem Auto, das hier gera­de viel zu laut vor­bei­rast? Oder heißt auf der Straße lau­fen auto­ma­tisch Rucken?“

Kurz gesagt, dein Hund muss ziem­lich viel über­le­gen und inter­pre­tie­ren, da die Leinenführigkeit in den unter­schied­lichs­ten Situationen unter den ver­schie­dens­ten Bedingungen gefor­dert wird. Es ist also nicht so, dass er Leinenführigkeit doof fin­det, son­dern viel eher der Fall, dass er gar nicht ver­steht, was du eigent­lich von ihm möchtest.

Dein Hund gibt also sein Bestes, aber bis er irgend­wann mal ver­stan­den hast, „Okay, Mensch sagt zie­hen ist doof, ich hör auf zu zie­hen“ ist dein Spaziergang schon fast vor­bei, dein Arm fünf Zentimeter län­ger und du benö­tigst die Runde Entspannung jetzt noch drin­gen­der als vor dei­nem Spaziergang.

Fazit: Leinenführigkeit ist viel schwie­ri­ger als Fußarbeit
Entspanntes SpazierengehenLeinenführigkeit ist für dei­nen Hund eher Wischiwaschi und Rätselraten delu­xe. Es gibt je nach Tagesform und Situation vie­le Unterschiede, ist unüber­sicht­lich und führt meist zu Frust. Fußarbeit hin­ge­gen bie­tet kla­re Regeln und einen sicht­ba­ren Aufbau, sodass sie für Mensch und Hund klar ver­ständ­lich ist. Ihr befin­det euch immer in der glei­chen Position, ver­wen­det die glei­chen Rituale und habt die glei­che Erwartung: Jetzt wird Fußarbeit gemacht – und dein Hund weiß genau, was das heißt.

Du willst ent­spann­te Spaziergänge und einen Hund, der mit dir läuft, statt an dir zerrt? Dann ist Fußarbeit genau das, was du benö­tigst. Nicht, weil es „sport­lich“ ist oder schick aus­sieht, son­dern weil es ein­fa­cher ist: für dich und dei­nen Hund. Du gibst das Signal, dein Hund läuft am Bein, und ihr fühlt euch bei­de sicher.

So! Jetzt bist du bestimmt über­zeugt, dass Fußarbeit genau das Richtige für dich ist, aber du weißt gar nicht, wo du eigent­lich anfan­gen sollst? Keine Sorge, das geht vie­len so. Genau des­halb zeigt dir Hundeexpertin Susanne Reinke in Teil 3 die­ser Serie, wie du in fünf ein­fa­chen Schritten struk­tu­rier­te Fußarbeit in dei­nen Alltag inte­grierst. Ohne Drill und Frust, son­dern mit Spaß und eini­gen Aha-Momenten. Also, bleib dran!

Die Autorin

Susanne Reinke ist Diplom-Umweltwissenschaftlerin und Gründerin der Online-Hundeschule ‚Jagdfieber’, die sich auf Dummytraining und Fußarbeit spe­zia­li­siert hat. 2014 grün­de­ten sie ‚Jagdfieber’ in Lüneburg, bevor sie 2018 mit ihrer Familie und ihren zwei Tollern nach Kanada aus­wan­der­te und das Konzept von da an erfolg­reich digi­ta­li­sier­te. Heute beglei­ten sie und ihr Team Hundebesitzern im gesam­ten DACH-Raum mit einem ein­zig­ar­tig struk­tu­rier­ten Trainingsansatz – pra­xis­nah, indi­vi­du­ell und all­tags­ori­en­tiert. Ihr Motto: „Jede kann Dummytraining.“

Tipp: Susanne Reinkes Podcast zur Fußarbeit.