C. Folgerungen für den Umgang mit dem Hund

Daraus erge­ben sich nun gleich eine gan­ze Menge Folgerungen, wenn wir art­ge­recht mit unse­rem Hund umge­hen wol­len, d. h. so wie es sei­nen Anlagen entspricht:

  1. Positiv getön­te Formen des Umgangs soll­ten auf jeden Fall die nega­ti­ven weit über­wie­gen. (Wenn man dar­über ein biß­chen nach­denkt,  kommt einem der schlim­me Verdacht, daß wir oft sehr viel phan­ta­sie­vol­ler im Ausdenken von Strafen sind als von Belohnungen).
  2. Berührungen des Hundes soll­ten – außer wenn wir glau­ben in einem Ernstkampf um Rang oder Leben ver­wi­ckelt zu sein, und dann ist im Vorfeld eini­ges schief gelau­fen – mög­lichst aus­schließ­lich im Rahmen posi­ti­ver Interaktion ablaufen.
  3. Wollen wir unse­rem Hund Grenzen auf­zei­gen bzw. auf den von uns gesetz­ten Spielregeln des Verhaltens bestehen, so soll­ten wir gleich­zei­tig auch sei­ne Spielregeln was die Verständigung angeht berück­sich­ti­gen. D. h. wir soll­ten etwas fin­den, was der in der Intensität wach­sen­den Drohlinie ent­spricht. Gehen wir den Hund ohne die­se Vorwarnungen direkt an, so zei­gen wir ein Verhalten, das für ihn zum Ernstkampf gehört. Und lei­der tun wir das sehr oft, über­wie­gend – wie ich anneh­me – nicht, weil wir dem Hund Schmerzen zufü­gen oder ihn bewußt quä­len wol­len, son­dern aus Hundeausbildungs-tra­di­tio­nen her­aus, die zu Zeiten ent­stan­den, in denen es kaum zuver­läs­si­ge Beobachtungen des Wildtieres Wolf gab und in denen das Haustier Hund als ein dem Menschen aus­ge­lie­fer­ter Untertan, nicht als Mitgeschöpf mit eige­nen auch zu respek­tie­ren­den Bedingungen ange­se­hen wurde.

Schauen wir uns eini­ge Beispiele an, wo wir die hundli­chen Regeln der schritt­wei­sen Vorwarnungen, wie man sich an den Kragen geht, miß­ach­ten. Nackenschütteln und Leinenruck – bei­des für den Hund Elemente aus dem “Ernstkampf” – kom­men oft aus der irri­gen Annahme, dies sei die typi­sche müt­ter­li­che Bestrafungsart durch die Hundemutter. Hier hat jeder von uns Sünden wider das anstän­di­ge Verhalten, wie es im Hund ange­legt ist, auf sich gela­den. Fast jeder von uns hat ja das alles auch so schon gesagt bekom­men – mit der Voraussetzung, so müs­se es sein, damit der Hund etwas lernt. Und er lernt dabei auch etwas: näm­lich bestimm­te Verhaltensweisen aus­füh­ren aus Angst vor Schmerz – er lernt, daß Herrchen oder Frauchen manch­mal unbe­re­chen­bar und ohne für ihn ein­seh­ba­ren Grund grob ist, was natur­ge­mäß Unbehagen mit sich bringt. Wenn der Hund beson­ders gedul­dig ist, zeigt er dar­auf­hin sogar eini­ge ein­schmei­cheln­de Verhaltensweisen – sie stam­men aus dem Umkreis derBeschwichtigungsgesten, Vertrauen drü­cken sie nicht aus.

Er lernt jeden­falls nicht in Kooperation mit sei­nem Führer. Wenn die­ser sich sonst eini­ger­ma­ßen gut ihm gegen­über benimmt, sind die meis­ten Hunde ja auch bereit, uns ziem­lich viel zu ver­zei­hen. Nur bit­te den­ken Sie zurück an die Gehirnleistungen – es ist ein biß­chen pein­lich, aus­ge­rech­net da auf die beson­de­re Gutmütigkeit des Hundes und sei­ne Bindungsfähigkeit ange­wie­sen zu sein, wo wir dank unse­rer Intelligenz eigent­lich etwas mehr zur Verständigung bei­tra­gen könnten.

Wie wer­den wir nun also statt des­sen die ruhi­gen, gelas­se­nen und freund­li­chen Alpha-Tiere, wie wir sie uns als typisch für Wolfsrudel gera­de vor Augen gehal­ten haben, die ohne gro­ßen Aufwand mit Blicken und Bewegungen die Ordnung in ihrem Rudel aufrechterhalten?

  1. Wir brau­chen die ent­spre­chen­de Grundhaltung (Frau Feltmann spricht von wohl­wol­len­der Konsequenz, Hallgren von freund­li­cher Dominanz).
  2. Wir brau­chen eine Ausdrucksweise, die der hundli­chen Verständigung unter­ein­an­der so nahe kommt, daß unser Hund etwas mit ihr anfan­gen kann. D. h. wir brau­chen Formen des Lobes, der Zuneigung, Anerkennung und Aufforderung, die für den Hund mög­lichst unmit­tel­bar ver­ständ­lich und zuver­läs­sig wie­der­erkenn­bar sind. (Die bei uns belieb­te Aufforderung “Komm – mach end­lich Platz” erfüllt z. B. die­se Anforderung nicht.)
  3. Wir müs­sen wis­sen, was wir wirk­lich von unse­rem Hund wol­len, d. h. wel­che Spielregeln er ein­hal­ten soll – ich erin­ne­re: mit­ten im Spiel die Regeln ein­sei­tig und will­kür­lich zu ändern gilt unter Menschen als unfair.

Gehen wir zunächst dem nach, was wir wol­len, das der Hund tut. Schauen wir uns ein­mal das Verhaltensrepertoire unse­res Hundes an: eine gan­ze Menge von dem, was wir von ihm wol­len, tut er sowie­so – er sitzt, liegt, steht, läuft, alles frei­wil­lig und mit Begeisterung. Hier geht es also nur dar­um, ihn dazu zu brin­gen, das auch dann zu tun, wenn wir es gera­de wol­len (bzw. es auch zu unter­las­sen, wenn es in der mensch­li­chen Gesellschaft, in der er gera­de ist, zu unan­ge­mes­se­nen Störungen füh­ren würde).

Dann gibt es Verhaltensmuster, die er ange­bo­re­ner­wei­se all­zu gern aus­le­ben wür­de, die wir aber auf kei­nen Fall wün­schen (z. B. Jagen, Fressen von Dingen, die uns unge­eig­net erschei­nen, Raufen), d. h. wir müs­sen ihn dazu brin­gen, sie zu unter­las­sen – und wir müs­sen ihm anstän­di­ger­wei­se irgend etwas als Ersatz dafür bieten.

Und schließ­lich gibt es noch Forderungen, auf die ein Hund nie von allein käme, die wir aber wol­len, z. B. Fuß lau­fen oder län­ge­re Zeit allein bleiben.

Stellen wir auf die ande­re Seite unse­re Mittel:

  1. Wir kön­nen erwünsch­tes Verhalten ver­stär­ken, wenn es sowie­so auf­tritt, mit Stimme, freund­li­chen Berührungen, Leckerbissen und Spielen aller Art.
  2. Wir kön­nen erwünsch­tes Verhalten dadurch her­vor­lo­cken, daß wir etwas tun, was den Hund ent­spre­chend unse­ren Zielen ani­miert (z. B. wenn wir ihn durch schnel­les Laufen ermun­tern, uns zu fol­gen) und dann wie oben verfahren.
  3. Wir kön­nen aus­nüt­zen, daß der Hund ein Gewohnheitstier ist, indem wir das, was uns wich­tig ist, immer wie­der gleich­för­mig durch­füh­ren und dadurch “Rituale” begrün­den (z. B. wenn wir ihn bei der Vorbereitung des Fressens vor der offe­nen Küchentür sit­zen las­sen, wer­den wir bald erle­ben, wie er um die ent­spre­chen­de Uhrzeit kommt und sich zuver­sicht­lich an die­se Stelle setzt).
  4. Wir kön­nen uner­wünsch­tes Verhalten unter­bin­den, indem wir Alternativen aus dem Verhaltensrepertoire akti­vie­ren, z. B. wenn wir unse­ren Hund mit einem Ballspiel vom Auftauchen sei­nes “Todfeindes” oder eines hoch­in­ter­es­san­ten Joggers ablen­ken oder wenn wir mit dem jun­gen Hund auf einer Wildspur Apportierspiele auf­bau­en, die wir mit nach­hal­ti­gen Belohnungen verbinden.
  5. Schließlich kön­nen wir uner­wünsch­tes Verhalten auch durch eine sich stei­gern­de Reihe von Reaktionen (ent­spre­chend 2.3) ver­hin­dern, näm­lich die Stimme schär­fer wer­den las­sen (“Knurren”) und in ein dro­hen­des Erstarren ver­fal­len. Wir haben not­falls die Möglichkeit zu schritt­wei­se genau kal­ku­lier­ten nega­ti­ven Berührungen, nach­dem wir mehr­fach vor­ge­warnt haben.:“Schnauzengriff” und “Leviten lesen”.

Wenn wir das bis­her Gesagte genau beach­tet haben, wer­den wir ent­de­cken, daß die Notwendigkeit sol­cher unfreund­li­chen Auseinandersetzungen sich eben­so ver­rin­gert, wie es uns die meis­ten Wolfsforscher aus ihren Beobachtungen berichten.

Im Einzelnen wer­den wir unse­re Mittel zur Verständigung mit unse­rem Hund in immer neu­en Kombinationen über­le­gen müs­sen und dann nach den jetzt zusam­men­ge­stell­ten Gesichtspunkten durch­füh­ren. Das klingt viel­leicht kom­pli­ziert, ist es aber nicht, sobald wir uns dar­an gewöhnt haben, die­se für das hundli­che Verhalten wich­tigs­ten Grundbedingungen selbst­ver­ständ­lich ein­zu­be­zie­hen und dadurch dann die Freude einer wirk­lich freund­schaft­li­chen Wechselbeziehung zwi­schen uns und unse­ren Hunden zu erleben.

Hunde-Rudel, Verein für art­ge­mä­ße Hundeausbildung e.V.”, Tübingen